Gießen - Still und heimlich – das war noch nie seine Art. Also wird seine Karriere auch nicht still und heimlich ausklingen. Es wird zumindest eine rauschende Party geben. Gerade hat Andreas Sidon seinen 50. Geburtstag gefeiert – am 6. April dann will sich der langjährige deutsche Meister im Schwergewicht mit einer großen Feier aus dem Ring verabschieden. „Dann mache ich hier in Gießen meinen Abschiedskampf und lade alle Weggefährten von früher ein“, erzählt Sidon. Dann sollen sie alle kommen: Ex-Weltmeister Sven Ottke, mit dem er einst gemeinsam für den BC Flensburg in der Bundesliga boxte, frühere Sparringspartner aus dem Sauerland-Stall wie Cengiz Koc und Timo Hoffmann, Freunde des Boxers wie Ex-Weltmeister Firat Arslan, aber auch ehemalige Gegner wie der Frankfurter Willi „de Ox“ Fischer, den Sidon gleich zweimal besiegen konnte.
Trotz seines fortgeschrittenen Alters und trotz des jahrelangen Ärgers mit dem Boxverband boxt Sidon noch immer. Zuletzt besiegte er Anfang November in Koblenz den 14 Jahre jüngeren Profidebütanten Peter Böhm durch technischen K.o. in der dritten Runde. Sidons Reflexe haben nachgelassen, aber seine Kondition ist noch immer beeindruckend. „Solange das Publikum nicht pfeift und ich mich nicht blamiere, sind solche Kämpfe in Ordnung“, sagt Sidon.
Eigentlich schwebt ihm zum Schluss noch ein ganz großes Ding vor. Den vier Monate älteren früheren Weltmeister Evander Holyfield würde Sidon gerne herausfordern. „Deutschland gegen Amerika, 50 gegen 50, wer ist fitter?“, würde Sidon gerne wissen. Dafür reiste er gerade nach Miami, um Holyfield zu treffen und ihn zum Duell zu bewegen. „Er hätte dort unten einen Termin haben sollen, wir haben uns um ein paar Tage verpasst“, erzählt der Hesse. Dafür trainierte er im legendären 5th Street Gym der 2012 verstorbenen Trainer-Legende Angelo Dundee. Dort hatte Dundee den Größten, Muhammad Ali, zum besten Boxer der Welt geformt. „Unglaublich, ein fantastisches Erlebnis“, schwärmt Sidon. „Schade, dass ich nicht schon früher nach Miami gegangen bin und Angelo Dundee noch kennengelernt hätte.“
Revanche gegen Hinton
Nun will Sidon am 6. April in Gießen Revanche nehmen an Sheldon Hinton. Gegen den Kanadier hatte er im Oktober 2009 in Edmonton vorzeitig verloren. „Wenn ich verliere, ist Schluss“, kündigt Sidon an.
Auch nach seinem Abschied aus dem Boxring wird Andreas Sidon weiter kämpfen. Er kann gar nicht anders. „Mein ganzes Leben ist ein Kampf, das ist mein Schicksal“, sagt der Boxer, der mittlerweile von Hartz IV lebt. Als Sidon zehn Jahre alt waren, kamen seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben, Sidon wuchs in Kinderheimen auf, später schlug er sich als Thaiboxer in Thailand durch. 2003 starb auch seine Lebensgefährtin Heike bei einem Autounfall, seitdem ist Sidon alleinerziehender Vater von drei Kindern. Die älteste Tochter Saskia macht gerade ihr Abitur, Albano und Mandana besuchen ebenfalls das Gymnasium. „Ich bin in der Erziehung ein harter Hund. Meine Kinder hatten es nicht leicht mit mir. Aber es hat sich gelohnt“, sagt der stolze Vater.
Kampf gegen den Boxverband
Dem 18 Jahre alten Albano widmete die Gießener Lokalpresse gerade einen großen Artikel: „Talent mit großem Kampfgeist im Gepäck“ lautete die Schlagzeile. Sidon junior ist einer der besten Amateurfußballer Hessens. Beim SSV Lindheim in Mittelhessen kickt der 1,93 Meter große Linksfuß als jüngster Spieler im Seniorenbereich. Sidon senior träumt von einer Profikarriere seines Sohnes – als Fußballer, nicht als Boxer. Sidon: „Er würde auch einen guten Boxer abgeben, er hat viel Talent. Aber ich denke, er wird seinen Weg im Fußball gehen.“
Auch vor Gericht wird Sidon weiter kämpfen. Der Bund Deutscher Berufsboxer (BDB) hatte Sidon im Jahr 2007 wegen gesundheitlicher Bedenken die Lizenz und damit den deutschen Meistertitel im Schwergewicht entzogen. Das Berufungsgericht des Verbandes machte die Entscheidung rückgängig, der BDB klagte dagegen. In zweiter Instanz bekam der Verband im vergangenen Jahr Recht, Berufung nicht möglich. Deshalb klagt Sidon nun vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Denn die Entscheidung des BDB bedeutete ein Berufsverbot, das Sidon nur umgehen könnte, weil er zunächst mit einstweiligen Verfügungen in den Ring stieg, dann mit Lizenzen anderer Verbände. Die Verfassungsbeschwerde ist unlängst in Karlsruhe zugelassen worden. „Ich bin im Recht, deshalb kann ich nicht aufgeben. Was wäre ich sonst für ein Vorbild für meine Kinder?“, fragt der Boxer.
Und dann träumt Sidon noch immer von der Box-Revolution. „Wir müssen das Boxen ganz neu aufstellen“, erzählt Sidon. „Wir brauchen regionale Ranglisten und regionale Champions, die dann gegeneinander antreten. Nur so können wir das Boxen in Deutschland retten.“ Auch, wenn er selbst nicht mehr boxt, langweilig wird Andreas Sidon wohl nicht. Sein Kampf geht weiter.