Am 28. Juni 1997 treffen die Schwergewichtsstars Evander Holyfield und Mike Tyson zum zweiten Mal aufeinander. Im ersten Kampf am 9. November des Vorjahres hat Holyfield dem früheren Schrecken der Königsklasse den WBA-Titel durch einen T.K.o.-Sieg abgenommen – es ist erst Tysons zweite Profiniederlage. Die erste, der K.o. gegen James „Buster“ Douglas, ist als legendäres Upset in die Box-Geschichte eingegangen, gegen den früheren Cruiser-King Holyfield sieht die Sache anders aus. Der hat das Potenzial dem früheren Schwergewichts-Dominator den Rang abzulaufen, trotz Niederlagen gegen Riddick Bowe und Michael Moorer.
„In den ersten Kampf ging Holyfield als 25:1-Außenseiter“, erinnert sich BOXSPORT-Experte Bernd Bönte, der beide Fights damals kommentierte, das Rematch gemeinsam mit Axel Schulz. „Ich habe in der Nacht vor dem Kampf gegen Mike kaum geschlafen, bin immer wieder aufgestanden, habe gebetet und mir gesagt: Gott wird mich beschützen, nur wenn er mich fallen lässt, dann müsste ich wirklich Angst haben. Wer ist dagegen Mike Tyson?“, sagte Holyfield laut Bönte über seinen Sieg. Im Rückkampf hat Tyson etwas zu beweisen. „Tysons Aura des Schreckens hatte bis dahin die meisten seiner Gegner bereits auf dem Weg zum Ring komplett gelähmt“, so Bönte. Der Nimbus der Unbesiegbarkeit ist spätestens nach dem ersten Kampf gegen „The Real Deal“ futsch.
Doch auch beim zwei Match, erneut im MGM Grand in Las Vegas, läuft es nicht nach Plan für den „Baddest Man on the Planet“. „Holyfield hat auch im Rückkampf Tysons Stärken neutralisiert, sodass das Rematch schon in Runde zwei in die Richtung ging, die Tyson absolut nicht wollte“, blickt der Experte auf den Mega-Fight zurück, den er damals mit Axel Schulz gemeinsam kommentierte. Der Frust Tysons entlädt sich in Bissen gegen Holyfield. Für den ersten wird „Iron Mike“ verwarnt, der zweite geht als Riesenskandal in die Boxgeschichte ein: In der dritten Runde spuckt Tyson seinen Mundschutz aus und beißt seinem Gegner ein Stück des rechten Ohrs ab. Es folgt die Disqualifikation. Sportlich ein Debakel für Tyson, ein Gewinn für seine Marke: Er bleibt der ultimative Bad Boy des Boxens, wird auf ewig mit diesem Moment assoziiert – auch von Leuten, die sonst wenig über das Boxen wissen.
Tyson entschuldigt sich später, rechtfertigt sich aber auch damit, dass Holyfield ihn mit absichtlichen Kopfstößen bedrängt habe, die nicht von Ringrichter Mills Lane geahndet wurden. Wie Bönte das damals wahrgenommen? „Es war einfach Holyfields Art nach vorne zu gehen und die Haken im Infight zu schlagen. Beide hatten die Köpfe unten und sind dabei kollidiert, aber einen absichtlichen Kopfstoß Holyfields habe ich nicht gesehen“, erinnert sich der langjährige Klitschko-Manager.
Tysons weitere sportliche Karriere ist bestenfalls durchwachsen. Er siegt über Skandalnudel Frans Botha, verliert aber nicht nur gegen Top-Mann Lennox Lewis, sondern auch gegen die unterklassigen Gegner Danny Williams und Kevin McBride – beide Male vorzeitig. Nach diesen Pleiten beendet er seine aktive Karriere, bleibt aber ein Popkulturphänomen. Holyfield boxt bis 2011, ebenfalls mit durchwachsener Bilanz, aber erfolgreicher als sein Erzfeind. Später söhnen sich die Boxer aus, sind inzwischen Freunde. Und in den Augen der Welt auf ewig mit jenem 28. Juni 1997 verbunden.
Text: Nils Bothmann