Weit über 7.000 Kilometer laufen oder in Afghanistan sterben. Jawad Hadi, 33, ledig, Journalist, stand vor dieser Wahl. Er entschied sich für eine schwierige Odyssee nach Deutschland. Zu Fuß.
Sein Berufsethos der unabhängigen und neutralen Berichterstattung hätte Jawad Hadi fast mit dem Leben bezahlt. In seiner Heimatstadt Laghman nahe der pakistanischen Grenze lauerten ihm Fanatiker auf. Nur eine zufällig vorbeifahrende Polizeistreife verhinderte, dass er unter der blinden Raserei von Schlagringen und Eisenrohren starb. Seitdem sind über acht Jahre vergangen. Die ersten verbrachte er in einem Asylantenheim in Isselburg. Deutsch lernte er in einem Weiterbildungszentrum in Hamminkeln und durch Youtube-Videos. Die Folge: guter Job, eigene Wohnung, schönes Auto. Seit 2022 besitzt Jawad außerdem den deutschen Pass.
Hadi ist leidenschaftlicher Boxer bei der ASV Bocholt. Den Weg dorthin ebnete ihm seine Sozialbetreuerin während seiner Zeit in Isselburg. Hadi startet im Weltergewicht. Ein Mal war er in dieser Klasse bereits NRW-Meister. Damals hatte er noch keinen deutschen Pass. Coach Apo Seyrek erinnert sich: „Die Bezirksmeisterschaft war für Jawad ein glatter Durchmarsch. Auch auf der Westdeutschen lief es sehr gut. Dann stand er im Finale. Gleich in der ersten Runde verletzte sich Jawad an der Schulter. Wir wollten das Handtuch werfen, doch er flehte uns an, es nicht zu tun. Unter Schmerzen boxte er durch und gewann.“ Seyreks Augen glänzen. „Statt Champagnerdusche gab’s dann die Schnellfahrt ins Krankenhaus. Diagnose: Zerrung und schwere Kapselverletzung.“ Es war nicht nur der erste ernstzunehmende Titel für Hadi, sondern auch seit langem für die ASV Bocholt, die nun wieder einen Landesmeister stellte.
Die ASV – Athletik-Sportvereinigung Einigkeit Bocholt – ging 1909 aus der Verschmelzung des 1894 gegründeten Athletikklub Germania und dem 1900 aus der Taufe gehobenen Ring- und Stemmklub „Deutsche Eiche“ hervor. Am 10. September 1922 wurde der Faustkampf als weiteres Sportangebot aufgenommen. Die Boxsparte prosperierte. Vor gar nicht allzu langer Zeit kämpfte Bocholt auf Augenhöhe mit Wesel, Dinslaken und der Konkurrenz aus dem benachbarten Ruhrgebiet. Dann wurde es ruhig.
Frische Konzepte beim ASV Bocholt
Doch jetzt sind die Boxer wieder da. Mit frischen Konzepten sowie einer runderneuerten Führung, und zwar dem Vorsitzenden Dimitrij Wagner nebst seinem Vize Willi Balster, dem Pressesprecher Yves Fernau, Kassenwart Ömer Seyrek und Schriftführer Lars Böing. Sportwart ist Mitchell Viehmann. Für den Sport sind vier Trainer verantwortlich: die Brüder Apo und Ömer Seyrek, Arian Sherifi sowie Marc Cienia. Sie alle haben im Ring gestanden und folgen nun einem gemeinsamen Ziel: Holt die Kids von der Straße. Mittlerweile hat die Boxabteilung über 100 Mitglieder, von denen 40 ständig im Training sind und davon nunmehr 20 auf Events im Ring ihren Mann oder Frau stehen. Tendenz steigend.
Dieses Jahr begeht die ASV ihren 130. Geburtstag und das werden die Boxer mit einer großen Veranstaltung feiern. Dafür sollten sich alle Vereine, ihre Kämpfer und Fans den 16. November vormerken. Jawad Hadi wird wieder im Weltergewicht antreten.
Ambitionierte Ziele
Hadi ist Gold wert für die ASV, denn er ist nicht nur einer ihrer besten Athleten, sondern unterstützt den Vorstand als Integrationsbeauftragter. Er beherrscht vier Sprachen und weiß aus eigener Erfahrung, welche Schwierigkeiten auf die lauern, die in Deutschland bleiben möchten. Aber auch im Ring will und kann er noch eine Menge erreichen. Die Trainer sind sich sicher, dass er das Zeug hat, sich auf den „Deutschen“ für die Europameisterschaft zu qualifizieren. Was wäre, wenn nicht, wollte BOXSPORT von Apo Seyrek wissen. Seine Antwort reflektiert die neue ASV Einigkeit Bocholt: „Wir steigen in den Ring, um zu gewinnen.“
ASV Einigkeit Bocholt 1894 e.V.
- Mitglieder: 100
- Vorsitzender: Dimitrij Wagner
- Sportwart: Mitchell Viehmann
- Integrationsbeauftragter: Jawad Hadi
- Trainer: Apo Seyrek Ömer Seyrek, Arian Sherifi, Marc Cienia
- Besonderes: Neu aufgestellter Vorstand und Trainerteam.
- Große Jubiläumsveranstaltung (130 Jahre) am 16. November 2024
Text von Wolfgang Wycisk