Bevor ich loslege: Ich freue mich sehr, dass du hier bist, um meine Kolumne zu lesen. Es wird chaotisch, lustig, aber hauptsächlich 100 Prozent echt. Ich werde von vielen Anekdoten und Erfahrungen aus dem Boxen berichten, aber dir auch spannende Insights in meinen alltäglichen Wahnsinn geben. Und jetzt heißt es: Ring frei!
Die Vorgeschichte zu dieser Kolumne von Sarah Liegmann findet ihr hier.
Das ganze Team war mittlerweile in Detroit angekommen und das erste Training stand an – „10 in the morning, as always?“, fragte ich meinen Coach und bekam kurze Zeit später die Antwort „Yes, see you there!“ Typisch deutsch, standen meine Mutter und ich um 9:45 Uhr vor dem Gym. Eine Angewohnheit, die wir im Ausland noch ablegen müssen, da in der Regel keiner vor 10:15 Uhr da ist. Als dann wirklich alle vor dem Gym eingetroffen waren, gingen Claressa Shields, ihre Assistentin, John David Jackson und ich rein.
Bevor ich überhaupt irgendetwas anderes wahrnehmen konnte, wurde ich von einer Hitzewolke begrüßt – „Das kann doch nicht wahr sein“, dachte ich. Die Heizung war auf das Maximum hochgedreht. Im Winter freut man sich in Detroit sicherlich darüber, aber im Mai bei schon fast 30 Grad Außentemperatur? Kurz schaute ich meinen Coach an, der nur ein Schmunzeln auf den Lippen hatte. Den Schwitzanzug brauchte ich also nicht. Somit hatte das Ganze auch seine positiven Seiten.
Aller Anfang ist schwer
Während John und Claressa in der Superbad Academy alte Freunde und Bekannte begrüßten, war man hinsichtlich der deutschen Begleitung eher skeptisch. Ein kurzes Kopfnicken wurde uns geschenkt, mehr nicht. Ich war es gewohnt – es ist häufig so, dass man sich den Respekt in den Gyms erst erarbeiten muss. Ich ging also meiner Routine nach, bandagierte mir die Hände, machte mich warm und ging dann erst einmal an den Sandsack. Die ersten Blicke huschten in meine Richtung. Als ich mit John im Ring an den Pratzen stand, richtete sich die Aufmerksamkeit langsam immer mehr auf mich.
Die nächsten Tage liefen ähnlich ab – es war schwierig, in der Gym-Community Anschluss zu finden, da die Hautfarbe in Detroit doch eine große Rolle spielt. Nicht unbedingt auf eine rassistische Art, jedoch ging man eher vorsichtig mit uns um. Trotzdem war ich ja nun mal mit meinem Team vor Ort und bereitete mich auf meinen Kampf vor. Nach der ersten Woche stand samstags das erste Sparring in Detroit an. Natürlich war die Heizung aufgedreht und die Lüftung genau über dem Ring. Das Einzige, was mein Trainer in der Ecke witzelte, war „It‘s cozy“.
Respekt erarbeitet
„Naja, was soll’s“, dachte ich mir und ging zur Ringmitte. Das Sparring startete gegen eine sehr erfahrene Amateurboxerin, die in diesem Gym sozusagen groß geworden war. Ich fand schnell in das Sparring rein und konnte mich von meiner besten Seite zeigen. Anschließend haben wir uns ein wenig unterhalten, auch Claressa setzte sich mit in den Ring, um mit ihrer alten Freundin aus Amateurzeiten zu sprechen. Als wir dann zusammenpackten und zurück in das Airbnb wollten, wurde uns das erste Mal ein „Bye, till tomorrow“, hinterhergerufen.
In der Fightweek lockerte sich die ganze Situation dann von Tag zu Tag auf. Ich hatte mir meinen Platz also verdient. So langsam grüßte man uns und tauschte auch schon mal die ein oder anderen Sätze miteinander. An meinem letzten Tag kam dann einer der Coaches zu mir, streckte mir seine Faust entgegen und sagte nur: „Can’t wait to see you in the ring on saturday night“. Ich lächelte und wusste, dass ich mir meinen Respekt erarbeitet hatte.
Sarah Liegmann
Sarah Liegmann wurde am 26. Januar 2002 in Bonn geboren. Die Federgewichtlerin boxt seit 2021 als Profi, trainiert und lebt in Deutschland und in den USA. Liegmann alias „The Princess“ ist amtierende WBC-Junioren-Championesse. Zudem sicherte sich die frühere Kickboxerin den WM-Gürtel des Verbandes WBF.
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