In der Rubrik Boxsport-History blicken wir auf große, außergewöhnliche Kämpfe der Vergangenheit zurück. Diesmal auf ein Duell zweier damals noch ungeschlagener Schwergewichtler, Ike Ibeabuchi und Chris Byrd, das sich am 20. März zum 25. Mal jährte.
Am 20. März 1999 herrscht gespannte Erwartung im Tacoma Dome, Washington. Fans sind gekommen, um zwei Schwergewichtsboxer zu sehen, denen mutmaßlich die Zukunft gehört. Auf der einen Seite der 26-jährige Puncher Ike Ibeabuchi (19-0, 14 K.o.), ein schier unaufhaltsamer Aufsteiger, der sich 1994 bereits mit David Tua eine beeindruckende Ringschlacht geliefert hat.
Der andere ist der 28-jährige, in 26 Profi-Kämpfen siegreiche olympische Silbermedaillengewinner von Barcelona 1992, Chris Byrd (26-0, 13 K.o.). Ein schneller Boxer, technisch und strategisch gut ausgebildet, schwer zu treffen. Ibeabuchi kommt mehr über die Workrate. Er schlägt viel, trifft wenig. Doch sobald er seinen Gegner an den Ringseilen stellen kann und in den Infight kommt sind besonders seine Haken brandgefährlich.
Ibeabuchi besiegt Byrd in fünf Runden
Der Kampf entwickelt sich dementsprechend. Ibeabuchi permanent im Vorwärtsgang, versucht Byrd zu stellen. Der US-Amerikaner weicht mit schnellen Meidbewegungen immer wieder klug aus und setzt Konter. Bereits in der dritten Runde fließt Blut. Ein Cut ziert Byrds linke Augenbraue. Byrd übersteht diese Runde und ebenso die nächste. Doch immer öfter gelingt es Ibeabuchi Byrd an den Seilen zu stellen. So auch wieder eine Minute vor Ende von Runde 5.
Wilde Schläge prasseln auf Byrd ein. Kurz geht dessen Deckung auf. Fatal. Ein heftiger Uppercut mit der Linken zum Kopf von Byrd trifft voll ins Schwarze. Der folgende rechte Seitwärtshaken landet ebenfalls im Ziel und schickt Byrd zu Boden. Der ist zwar schnell wieder auf den Beinen, aber ebenso schnell auch wieder im Ringstaub. Getrieben von Adrenalin und der Euphorie des ersten Niederschlags stürmt Ibeabuchi aus der Ecke. Bei seiner Attacke steht mit seinem linken auf Byrds rechtem Fuß, sodass der nicht zurückweichen kann. Byrd weicht einem linken Schwinger Ibeabuchis nach unten aus, fängt sich einen rechten Haken und liegt plötzlich auf dem Bauch. Ringrichter Ron Rall gibt den Kampf noch einmal frei. Ibeabuchi setzt sofort nach, Byrd kann den Sturmlauf nicht kontern und setzt keine Schläge mehr. Folgerichtig geht der Referee 5 Sekunden vor Ende der Runde dazwischen und bricht den Kampf ab.
Zu den Sternen und zurück
Durch diesen bemerkenswerten Sieg gegen Chris Byrd rückt Ike Ibeabuchi in den Fokus der Boxwelt. Und doch wird es der letzte Profikampf seiner Karriere sein. Statt Lennox Lewis, Herbie Hide oder Vitali Klitschko herauszufordern, knockt sich Ike Ibeabuchi in einer Reihe von persönlichen und in der Folge rechtlichen Kämpfen selbst aus. Diese Phase seines Lebens nach dem Byrd-Kampf markiert einen Wendepunkt.
Dass er seine inneren Dämonen nicht immer im Griff hat, war früher bereits zu erahnen. Schon nach dem epischen Fight gegen David Tua 1994 kämpfte er mit psychischen Problemen. Er entführte den autistischen Sohn seiner Ex-Freundin und fuhr mit ihm im Auto absichtlich gegen den Pfeiler einer Brücke. Das Kind trug dauerhafte Schäden davon. Er wurde zwei Monate inhaftiert und zahlte an die Mutter des Kindes eine unbekannte Summe.
Diagnose und psychische Gesundheit
Nach dem Byrd-Kampf übermannte ihn erneut die dunkle Seite. Wegen Vergewaltigung einer Stripteasetänzerin wird Ibeabuchi verhaftet. 1999 tritt er seine Haftstrafe im Lovelock Correctional Center in Lovelock, Nevada an und wird erst im November 2015 entlassen. Die rechtlichen Auseinandersetzungen und die daraus resultierende Inhaftierung beendeten effektiv seine Boxkarriere und veränderten den Lauf seines Lebens dramatisch.
Während seiner Inhaftierung wird bei Ibeabuchi eine bipolare Störung diagnostiziert. Diese Diagnose wirft zwar ein neues Licht auf sein Verhalten, legitimiert es aber keinesfalls. Im Rückblick sind diese Auswirkungen seiner Erkrankung auf sein persönliches und professionelles Leben ein zentrales Element seiner Geschichte. Die ist aus sportlicher Warte das Sinnbild einer „Was wäre, wenn …“-Story, die in Boxerkreisen bis heute erzählt wird und ihn zu einem Mythos werden ließ.