Durch seinen Sieg im Vorprogramm von Tyson Fury und Oleksandr Usyk hat sich Agit Kabayel beim WBC eine WM-Chance erkämpft. Alsbald um den grün-goldenen Gürtel boxen dürfte der Deutsche aber nicht. Welche Optionen hat Kabayel?
Agit Kabayel spuckte keine großen Töne. „Ich hasse Trash Talk wirklich. Ich werde einfach mein Bestes im Ring geben“, sagte er nach seinem Triumph im „Final Eliminator“ des WBC gegen den hoch gehandelten Frank Sanchez, als DAZN-Reporter Chris Mannix nach dem nächsten Gegner fragte. Dabei hätte Kabayel durchaus Grund gehabt, auch verbal etwas auf die Pauke zu hauen. Der 31-Jährige hatte Sanchez am 18. Mai in Riad im Vorprogramm von Tyson Fury vs. Oleksandr Usyk nicht nur geschlagen. Kabayel dominierte den Kampf wie der Fußballclub aus seiner Geburtsstadt Leverkusen die Bundesliga.
Nach einer verhaltenen Eröffnungsrunde übernahm er das Kommando und walzte den Kubaner regelrecht platt. Kabayel überzeugte nicht nur mit den Fäusten, sondern auch mit den Beinen. Immer wieder schnitt der Deutsche, der heute in Bochum-Wattenscheid zu Hause ist, seinem Gegner den Ring ab, um seine schweren Hände anzubringen. Runde für Runde vernagelte Kabayel dem zuvor in 24 Kämpfen ungeschlagenen Sanchez die Atemwege; im siebten Durchgang war Feierabend. Erst ging Sanchez nach einem Leberhaken in die Knie, wenig später sackte er nach einer Führhand des Deutschen zum Solarplexus in sich zusammen – und kam nicht mehr zeitig hoch.
Kabayel überzeugte zum zweiten Mal auf ganz großer Bühne. Vor Weihnachten hatte er ebenfalls in Riad den gefürchteten Zwei-Meter-Russen Arslanbek Makhmudov in vier Runden kurz und klein gehauen. Auch Makhmudov knickte unter den Körperhaken des „Leber-Kings“ ein. Gegen den technisch deutlich versierteren Sanchez wiederholte Kabayel seine starke Leistung. Der Lohn: Beim WBC ist er jetzt Pflichtherausforderer des Weltmeisters, der seit jener denkwürdigen Boxnacht von Riad Oleksandr Usyk heißt. Kabayel wäre der erste deutsche Schwergewichtler seit Luan Krasniqi 2005, der um einen Titel der großen Verbände kämpft. Sein Mandatory-Status heißt allerdings nicht, dass der „Junge aus dem Ruhrpott“ auch bald zum Zuge kommt. Usyk und Fury haben schon eine Revanche vereinbart. Kabayels WM-Kampf kommt also frühestens Anfang 2025. Was tun bis zum Tag X?
Frage des Matchmakings
Die Fäuste stillhalten und warten kann keine Option sein. „Activity matters“ – Aktivität zählt, lautet eine alte Trainer-Weisheit im Boxen. Das weiß auch Kabayels Coach Sükrü Aksu. „Man hat gemerkt, der Abstand zum letzten Kampf war nicht so groß, er hat genau da weitergemacht und noch zwei Schippen draufgelegt“, kommentierte Aksu im Gespräch mit BOXSPORT den Sieg seines Schützlings. Zu lange darf ein Boxer nicht inaktiv bleiben, sonst setzt er Ringrost an. Auch Kabayel hat das in seiner Karriere schon erfahren. Nur: Gegen wen soll der 1,91-Meter-Schrank boxen, bis die WM-Chance kommt? Eine Frage des Matchmakings – und des Geldes.
Noch in Riad wurde Kabayel mit einem möglichen Kampf gegen den Neuseeländer Joseph Parker konfrontiert, der sich mit überraschenden Siegen gegen K.o.-Knipser Deontay Wilder aus den USA und China-Koloss Zhang Zhilei eindrucksvoll zurückgemeldet hat. Die Nummer eins des WBC verzichtete auf markige Ansagen, verwies auf das Management und die Fans, die letztlich entscheiden sollten.
Agit Kabayel – Marktwert gestiegen
Experte Bernd Bönte riet Kabayel von einem Kampf gegen Parker ab. „Warum sollte er das tun? Er hat jetzt eine WM-Chance sicher. Da müssten sie ihn schon mit Geld zuschütten“, sagte der langjährige Manager der Klitschko-Brüder im Studio des Streaming-Anbieters DAZN. Trainer Aksu sieht die Sache ähnlich. „Wenn sie uns Parker anbieten – okay. Aber dann müssen sie richtig gutes Geld zahlen“, betonte er. Der einstige WBO-Champion sei schließlich „kein 08/15-Boxer, da müssen sie die Kasse richtig aufmachen“. Für ihn zähle allerdings nur die Chance auf den WM-Titel, so Aksu. „Ich glaube, da spielt Geld nicht so eine große Rolle – natürlich schon, aber ich würde lieber um die Weltmeisterschaft kämpfen. Ich bin mir sicher: Egal gegen wen wir an dem Tag kämpfen, die Chancen stehen 50:50. Das hat man im Leben ein-, maximal zweimal. Wenn man Weltmeister wird, kann dir das keiner wegnehmen. Das kann man noch seinen Kindeskindern erzählen.“
Bliebe noch die Option eines „Stay-busy-Kampfes“ gegen einen starken, gut vermarktbaren, aber nicht zu gefährlichen Gegner. Womöglich zu Hause in Deutschland? Nicht ohne Weiteres. Denn Kabayels Marktwert ist deutlich gestiegen. Die Zeiten, in denen er vor kleiner Kulisse und für kleines Geld boxte, sind vorbei. „Wenn das deutsche Fernsehen einen großen Kampf will, werde ich bereit sein, in Deutschland zu kämpfen“, sagte der ehemalige Europameister bei boxingscene.com. Auch Trainer Aksu knüpft einen Kampf in der Heimat an den Ertrag. „Wenn die Bezahlung stimmt, gerne. Wenn jemand was von uns will, muss er ein bisschen was in die Hand nehmen.“
Text von Martin Armbruster