Maxi Klötzer startet am Wochenende in Paris ins olympische Box-Turnier. Doch der Auftakt soll nur ein Etappenziel sein. Mehr nicht – denn die Chemnitzerin will Gold.
Sie wusste, es wird eng, verdammt eng. Der Ringrichter umschließt ihr linkes Handgelenk mit festem Griff; jede verfrühte Regung unterbindend. Nur noch wenige Augenblicke, sie ringt längst mit den Tränen, hält die bandagierte rechte Faust zwischen Oberlippe und Nasenspitze, versucht die Emotionen zu unterdrücken, das Augenwasser zu halten. Dann, endlich, das Urteil: Die Lautsprecherstimme verkündet eine „Split Decision“, 3:2-Punktsieg. Der Unparteiische im Seilgeviert reißt ad hoc ihren linke Arm empor; Freudentränen kullern nun über ihre Wangen, sie wischt sie reflexhaft beiseite. Zwecklos, es fließen sekündlich weitere nach. Kein Rinnsal, eher ein reißender Strom. Alles fällt von ihr ab, sie hat es geschafft: Maxi Klötzer.
Entsetzt blickt hingegen ihre Kontrahentin, die unterlegene Kasachin Alua Balkibekova. Die sportliche Umarmung der beiden nach dem Richterspruch bleibt im Ansatz stecken, zu groß die Enttäuschung bei der aktuellen Vizeweltmeisterin, die die Chance verpasst hat. Verständlich, so greifbar nahe war es doch: das Ticket für die Olympischen Sommerspiele in Paris.
Freudiger Schockzustand
Für die 23-jährige Chemnitzerin verlief das erste olympische Qualifikationsturnier in Busto Arsizio im Südosten Italiens nach Plan. Vom 3. bis 11. März waren 632 Athleten (399 Männer und 233 Frauen) aus 112 Nationalen Olympischen Komitees angetreten, 49 Quotenplätze in 13 Gewichtsklassen auszuboxen. Bereits bei kontinentalen Qualifikationsturnieren waren erste Quotenplätze für Paris 2024 vergeben worden, etwa bei den European Games im polnischen Krakau im Juni 2023. Dort war für die Fliegengewichtlerin (bis 50 kg) Klötzer im Achtelfinale Schluss, Niederlage gegen die Polin Natalia Rok. Nicht so in Busto Arsizio bei ihrer „Extra-Runde“.
Zumal der Einzug ins Halbfinale aufgrund der vier zu vergebenen Quotenplätze in Klötzers Limit gereicht hat, um die Fahrkarte zu den Spielen unter den fünf Ringen einzulösen. Das heißt, Vorschlussrunde und Endkampf mussten die Athletinnen nicht mehr ausfechten. Zuvor hatte die Boxerin des Deutschen Boxsport-Verbands (DBV) die Portugiesin Rita Soares und die Taiwanesin Yi-Huan Guo besiegt. Soares klar mit 5:0, Guo nach einem „Referee Stops Contest“(RSC)-Sieg.
Direkt nach dem Fight gegen Balkibekova habe sie sich in einem Schockzustand befunden, erzählte Klötzer Medienvertretern nach dem Quali-Sieg. Sie musste sich erst einmal emotional sammeln. Und klar, auch das gehört dazu: Losglück. „Ich war zum ersten Mal in meinem Leben mit der Auslosung zufrieden“, berichtet Maxi. Wichtig ferner: Mit dem Gewicht habe alles geklappt, sie konnte entspannt von Kampf zu Kampf denken, „es war ein optimaler Turnierverlauf“.
Maxi Klötzer ist eine Musterathletin – eine Einser-Abiturientin der Sportschule, ein Vorbild der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Seit Februar 2019 trainiert die Neu-Olympionikin am Bundesstützpunkt in Frankfurt (Oder) mit ihrem langjährigen Coach und Bundestrainer René Benirschke. Beide kamen vom Box-Club Chemnitz 94, den „Wölfen“, in die Oderstadt an der Grenze zu Polen.
Vom Eis in den Ring
Angefangen hatte sie auf Kufen, bis zur fünften Schulklasse, dann wechselte sie die Disziplin. „Ich habe mich nicht gegen Eiskunstlauf entschieden, sondern für das Boxen“, hatte Klötzer gegenüber BOXSPORT einmal erzählt. Ihr war das wichtig zu betonen. Eher beiläufig erwähnte sie, dass sie vermutlich eine Paarläuferin geworden wäre. Schwer vorstellbar: Maxi, die Fighterin, die den Clinch Eins-gegen-eins sucht, an der Hand eines Partners Pirouetten drehend, schön im Dreiviertelwalzertakt.
Klötzer zählt hierzulande längst zu den arrivierten Boxerinnen, mehr als ein Dutzend Jahre ist sie schon dabei. Immer im Blick: Olympia. Da wollte sie immerhin, von Kindesbeinen an. Nach ihrem Kampfstil befragt, antwortet sie: „Aus einer stabilen Deckung mit beweglichem Oberkörper nach vorne gehen, Schläge setzen, harte.“ Dominant sei ihr Auftritt im Seilquadrat, ohne sinnlosen Aktionismus, beinahe energiesparsam. „Wenn ich schlage, will ich treffen.“ Eine, die ihre Stärken kennt, zielstrebig einsetzt. Und nein, selbstzufrieden sei sie deswegen aber nicht, nie sogar. Das entspreche nicht ihrem Naturell. „Es gibt in jedem Moment etwas zu verbessern, man kann schrittweise perfekter werden.“
Kurz, ihr Beispiel ist gewissermaßen beispielgebend: Maxi Klötzer will Mädchen, jungen Frauen Mut machen, sie begeistern. Denn Boxen liege ihnen im Blut, sagte die toughe Faustkämpferin vor der Kamera des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR). Weshalb? „Sie sind viel emotionaler, viel aggressiver im Ring.“
Die Boxwettbewerbe in Paris gehen ab 27. Juli über die Bühne und enden am 10. August – Klötzers erster Auftritt ist am Sonntag den 28. Juli. Insgesamt werden 248 Athletinnen und Athleten teilnehmen (124 Frauen und 124 Männer), die die kontinentalen und beiden Qualifikationsturniere erfolgreich absolviert haben. Beachtlich: Klötzer ist nach Nadine Apetz erst die zweite deutsche Boxerin, die an Olympischen Spielen teilnehmen wird. Das allein ist bereits eine Auszeichnung. Maxi reicht das indes nicht, für sie steht fest: nur teilnehmen ist nicht das Ziel. Keinesfalls. Um Edelmetall soll es gehen, um güldenes, wenn möglich – sprich: die Goldmedaille, nichts anderes.
Text von Oliver Rast