BOXSPORT beleuchtet die deutschen Olympia-Highlights im Boxen. In Teil eins blicken wir auf das Turnier der Spiele 1992 in Barcelona zurück: die goldene Ernte der Wiedervereinigung.
Das letzte Olympia-Gold für deutsche Boxer glänzte am 9. August 1992 im „Juventut Pavilion“ von Badalona, eine halbe Autostunde von Barcelona entfernt. Die Hitze wabert an diesem Tag durch den Saal. Die Veranstalter hatten alle Türen aufgerissen, um der drückenden Hitze Herr zu werden. Sozusagen Aircondition auf Spanisch. Der Schweriner Andreas Tews marschiert neben seinem Trainer Otto Ramin zum Ring. Tews’ spanischer Gegner Faustino Reyes badet schon im Jubel der Menge.
„Mit Beginn des Kampfes hatte Andreas das Kommando übernommen. Er war schneller und kam den Aktionen seines Gegners voraus“, erinnert sich Ramin. Am Ende lautete das Punkturteil 16:9 für den Deutschen. „Erst Silberfliege, jetzt Goldfeder“, titelten damals die Zeitungen. Bereits bei den Spielen 1988 in Seoul stand Tews nämlich im Finale – im Fliegengewicht gegen Kim Kwang Sun. Trotz weit besserer Leistung des damaligen DDR-Boxers wurde der Südkoreaner zum Sieger erklärt.
Der erfolgreichste deutsche Amateurboxer
Olympia-Held Tews, der heute ein Restaurant am Störkanal in Mecklenburg-Vorpommern betreibt, stieg mit dem Gold von Barcelona sogar zum erfolgreichsten deutschen Amateurboxer aller Zeiten auf. Er kämpfte 1988 im Fliegen- (51 kg) und vier Jahre später im Federgewicht (57 kg). Otto Ramin denkt gern an diese olympischen Tage zurück. „Die beiden Olympia-Medaillen für Andreas müssten eigentlich mit Diamanten umrahmt werden“, lobt der 70-Jährige, „was der Bursche geleistet hat, war einfach phänomenal.“ In Seoul 1988 gab es ein ziemlich angebranntes 1:4-Urteil gegen Tews. Die Wertungen gingen in der Mehrzahl mit 59:58 an den Südkoreaner Kim …
In Barcelona wiederum schaltete der gebürtige Rostocker gleich im ersten Kampf den amtierenden bulgarischen Weltmeister Kirkor Kirkorov (9:5) aus. Im Achtelfinale bezwang Tews den Franzosen Djamel Lifa (9:4), im Viertelfinale hatte Duk Kyu Park (17:7) aus Südkorea das Nachsehen. In der Runde der letzten vier deklassierte der Schützling von Coach Otto Ramin den Algerier Hocine Soltani (11:1). Und im Finale schließlich lies Goldjunge Tews in der aufgeheizten Atmosphäre dem Einheimischen Faustino Lopez (16:9) keine Chance.
Torsten May: „Da bekommst du ein ganz anderes Selbstbewusstsein“
Dagegen hatte Olympia-Starter Torsten May die Fachwelt bereits 1991 in Sydney überrascht, als er in Down Under Weltmeister wurde. „Da bekommst du ein ganz anderes Selbstbewusstsein“, blickt May auf das 92er-Olympia-Finale zurück. Der damals 22-jährige Halbschwergewichtler hatte sich trotz Augenbrauen-Verletzung bis ins Finale durchgeboxt. Auf dem Weg dorthin bezwang May die Kontrahenten Gil Nam Kimden (Nordkorea, 9:1 in der Vorrunde), Robert Dale Brown (Kanada, 7:1, Achtelfinale), Montell Griffin (USA, 6:4, Viertelfinale) und Wojciech Bartnik (Polen, 8:6, Halbfinale).
Im Showdown kämpfte der Russe Rostyslaw Saulytschnyj vom ersten Gong an auf verlorenem Posten, unterlag dem deutschen Ring-Helden mit 3:8. „Torsten lieferte damals den Kampf seines Lebens ab“, erinnert sich Manfred Wolke, der den Oderstädter später bei den Profis des Sauerland-Stalls coachte. Auf Olympia vorbereitet und trainiert wurde May in erster Linie von Karl Heinz Krüger. Wenige Monate vor den Spielen 1992 war Ulli Wegner zum neuen Bundestrainer ernannt worden. „So angenehm geschwitzt wie in Badalona habe ich als Amateurtrainer vorher noch nie“, lacht Wegner.
Heute lebt May in Frechen bei Köln, dies bereits seit einem Vierteljahrhundert, und betreibt in der Domstadt eine Boxschule. „Nicht um Boxer auf Welt- oder Europameisterschaften vorzubereiten“, lächelt der Olympiasieger. „In meinem Studio tun wir etwas für die Fitness.“ Natürlich erinnert sich der 54-Jährige gut an seinen Gold-Kampf vor inzwischen fast 32 Jahren. „Wir Boxer waren damals durch die DDR-Boxschule alle gut ausgebildet und in Form.
„Heute ist es dem Zufall geschuldet, wenn es ein Boxer zu olympischen Ehren schafft“
„Der Olympiasieg war für mich ein großes Erlebnis“, berichtet May. Natürlich macht er sich auch Gedanken darüber, warum das Boxen in Deutschland seit 1992 keinen Olympia-Finalisten mehr in die olympischen Ringe schicken konnte. „Heute ist es dem Zufall geschuldet, wenn es ein Boxer zu olympischen Ehren schafft“, sagt May. „In der DDR steckte hinter der sportlichen Entwicklung ein System, das begann schon in der Schule.“ Er erklärt das an einem Beispiel: „Bei uns wurden Talente gesichtet. Wir erhielten dann die Chance, auf die Kinder- und Jugendsportschule zu gehen.“ Dort habe man schulisch und sportlich eine gründliche Ausbildung erhalten. Auch wenn nicht alle Olympiasieger wurden, so gewannen aus seinem Klub in Frankfurt/Oder mit Manfred Wolke (1968), Rudi Fink (1980), Henry Maske (1988) und May selbst vier Boxer olympische Goldmedaillen.
Marco Rudolph mit starker Entwicklung
Ebenfalls in Barcelona erfolgreich für Deutschland war Silbermedaillen-Gewinner Marco Rudolph. Der Leichtgewichtler profitierte besonders vom Erfahrungsschatz Ulli Wegners; Rudolphs Entwicklung ging steil bergauf. Nach mehreren EM-Medaillen holte der Zittauer im fernen Sydney 1991 zum großen Schlag aus. Er fightete sich bis zum WM-Titel durch und knöpfte dabei dem späteren „Golden Boy“ Oscar De La Hoya (USA) und dem damaligen sowjetischen Meister, heutigen Boxtrainer, Artur Grigorjan die für seine Siege notwendigen Punkte ab. Ein Jahr später gehörte Rudolph zur deutschen Olympiamannschaft 1992.
Volles Risiko bei Olympia
Nach Siegen über Vasile Nistor (Rumänien), Dariusz Snarski (Polen) und Julien Lorcy (Frankreich) erreichte er das Halbfinale. Dort kam Rudolph kampflos weiter, weil Namjil Bayarsaikhan aus der Mongolei wegen Verletzung nicht antreten konnte. Schließlich wartete im Finale erneut De La Hoya, den er ein Jahr zuvor klar besiegt hatte. Doch diesmal wirkte der amtierende Weltmeister irgendwie gehemmt. Rudolph spürte in der zweiten Rundenpause, dass er nach Punkten hinten lag. „Ich griff deshalb voll an, vernachlässigte dabei aber etwas die Deckung“, erinnert er sich. Rumms, saß Rudolph nach einer Rechten des US-Amerikaners in der dritten Runde kurz auf den Brettern – damit war der Sieg futsch. Doch Silber blieb ihm.
Der gelernte Koch arbeitet heute als Security-Mitarbeiter in einem Berliner Edelkaufhaus. „Meine Frau Sabrina und ich sind mit unserem Leben zufrieden“, sagt Rudolph. „Boxen gucke ich nur noch im Fernsehen, wenn ein guter Kampf übertragen wird.“ Doch zum Triumph der deutschen Staffel bei Olympia 1992 trug er genauso bei wie Jan Quast. Der Halbfliegengewichtler aus Rostock besiegte im olympischen Ring Mohamed Zbir (Marokko), Pramuansak Phosuwan (Thailand) und Valentin Barbu (Rumänen) – und stand schließlich im Halbfinale. Dort unterlag Quast dem Bulgaren Daniel Petrov mit 9:15 und durfte am Ende die Bronzemedaille in Empfang nehmen. Der mehrfache Chemiepokal-Sieger war damals von Frankfurt/Oder nach Leverkusen zu Trainer-Legende Fritz Sudnek (2014 †) gezogen. „Inzwischen bin ich wieder zurück in Rostock und betätige mich noch als Hobby-Trainer in Evertshagen“, erzählt der Olympia-Dritte, der am 9. Januar seinem 54. Geburtstag feierte.
Gold durch Andreas Tews und Torsten May, Silber für Marco Rudolph, Bronze dank Jan Quast – und Platz zwei im Medaillenspiegel hinter der herausragenden Box-Nation Kuba. Bei den ersten Olympischen Spielen nach der Wiedervereinigung hat die „goldene Generation“ eines der erfolgreichsten Kapitel der deutschen Box-Geschichte geschrieben. Bleibt zu hoffen, dass irgendwann ein neues Gold-Kapitel bei Olympia hinzukommt.
Text von Manfred Hönel