4. August, Olympia-Tagebuch #4: Seit Donnerstag ist meine Frau Heike bei mir. Sie freut sich auf Paris, aufs Boxen und auf das berühmte Moulin Rouge, das Nonplusultra des Cabarets, im 18. Pariser Arrondissement, über das das Guinnessbuch gleich mehrere Rekorde berichtet.
Das Beste vorweg: Nelvie Tiafack hat Bronze sicher!
Pünktlich am Freitag um 17.48 Uhr kletterte unser Superschwerer in der Arena Paris Nord zum ersten Viertelfinale der Königsklasse gegen den Italiener Diego Lenzi in den Ring und bezwang ihn einstimmig. Nelvie boxte nicht spektakulär, aber effizient. Lenzi bäumte sich mehrfach gegen seine Niederlage auf, doch Nelvie war voll da und konterte den Italiener cool ab. Damit hat er eine Medaille sicher.
Direkt nach ihm klärten Australiens Teremoana Teremoana (kein Stotterer) und der usbekische Überflieger Bahodir Jalolov, wer Nelvies Halbfinalgegner werde würde. Auch hier verteilten sich die Kräfteverhältnisse einseitig und zu Gunsten Jalolov. Dass Teremona die 2. Runde gegen den Titelfavoriten gewann, änderte nichts am starken Auftritt des Usbeken. In der Halle triumphierte Jalolov, draußen feierte seine Fangemeinde mit Freudentänzen à la Usbekistan. Es war so krass, dass zwei Fernsehteams nicht genug von ihnen bekommen konnten. Am 7. August, ab 22.02 Uhr ist wieder Daumendrücken angesagt, denn dann boxt Nelvie gegen den Usbeken um den Finaleinzug.
Der Gewinner des Wochenendes
Gäbe es einen Preis für den Gewinner des Wochenendes, den hätte der Franzose Billal Bennana verdient. Nach einem 4:1 in Durchgang eins gegen Alejandro Claro Fiz aus Kuba sicherte er sich die 2. und 3. Runde jeweils mit 3:2. Bennana war mental nicht zu schlagen, und diese Stärke setzte Claro Fiz zu. Trotz seines überragenden Könnens forderte Claro Fiz nach jedem Angriff den Blickkontakt seiner Trainer, als wolle er deren Wohlwollen erheischen. Doch hätten sie das getan, dann hätten sie ihn belogen. Billal gehörte der Triumph und die Herzen der Pariser. Dafür schenkte er ihnen eine Leistung, die man nur einmal im Leben abrufen kann.
Der Kampf strotzte vor boxerischen Höchstleistungen: Es war das technisch beste, das temporeichste, spannendste, härteste, kurzum, es war das spektakulärste Gefecht, das ich bei den Spielen gesehen habe, und vielleicht sehen werde. Und wenn ein Franzose im Herzen der großen Nation einen Kubaner besiegt, dann lassen die Fans die Halle explodieren. Vielleicht waren die vielen Franzosen Billals dritte Faust, die die nötigen Treffer für die beiden 3:2 setzte?
Der Verlierer des Wochenendes
Verlierer des Wochenendes war mein Hotdog, den ich mir in der Pause besorgte. Mit bröseligem Brötchen und fleischlosem Würstchen hatte es die Konsistenz von Fensterkitt. Der Geschmack war so brutal, dass ich mir freiwillig auf die Zunge biss, um die Geschmacksknospen zu betäuben. Das alles nahm ich auf mich für sündige 12,50 €! Ich hätte gerne ein Foto von dem Hotdog gepostet, aber 1.) streikte mein iPhone (hätte ich an dessen Stelle auch getan) und 2.) wäre das zu verstörend für die Jungs in der Redaktion gewesen.
Lin Yu-Ting und Imane Khelif, die Boxerinnen, um deren Geschlechter mittlerweile ein Zickenkrieg zwischen IBA-Häuptling Umar Kremlev und IOC Chef Dr. Thomas Bach ausgebrochen ist, bezwangen ihre Gegnerinnen klar. Boxerisch waren die Kämpfe ansehnlich, aber nicht überragend. Ich hatte eigentlich einen Shitstorm aus Gekreische und Gejohle von den Rängen erwartet, doch anders als so mancher Funktionär hielten sich die Fans zurück.
Sonntag gab es Kultur pur. Acht Stunden Louvre von Mona Lisa über die Venus von Milo bis zum sitzenden Schreiber sind nur drei der 35.000 großartigen Ausstellungsstücke der Sammlungen. Sie sind auf 60.600 qm zu sehen, was in etwa 1639 Boxringen entspricht. Ich stelle mir gerade vor, ich müsste durch alle Seile klettern…