Kuriose Umstände, fehlerhafte Entscheidungen und Skandalurteile. Die Boxwettbewerbe von Seoul waren keine Sternstunde in der Geschichte des olympischen Boxens. Trotzdem bot Olympia 1988 die große sportliche Bühne für zwei deutsche Mittelgewichtler, die später das Profiboxen im wiedervereinigten Deutschland über Jahre prägen sollten.
Gedränge im Chmashil Gymnasium von Seoul. 441 Boxer aus 106 Ländern hatten gemeldet. Die Organisatoren sahen sich mit dieser hohen Anzahl überfordert. Um den Andrang der Faustkämpfer zu bewältigen, wurden zwei Ringe in der Halle aufgestellt. Eine Katastrophe, wie sich im Laufe des Olympia-Turniers herausstellen sollte. Denn zwei Ringe in unmittelbarer Nähe, in denen gleichzeitig gekämpft wurde, führten zu Verwirrung und Fehlurteilen, von denen auch die beiden DDR-Boxer Michael Timm (heute Trainer in Schwerin) und der amtierende Weltcup-Sieger Siegfried Mehnert aus Halle betroffen waren.
Darüber ärgert sich der damalige DDR-Cheftrainer Günther Debert (94) noch heute. Im Trubel liefen Kämpfe weiter, die eigentlich unterbrochen waren. Andererseits wurden Duelle unterbrochen, die noch mitten im Zeitlimit lagen. Der Kampf des US-Amerikaners Todd Forster gegen den Koreaner Chun Jin-chul musste sogar wiederholt werden. Boxer und Ringrichter hatten sich durch das Signal von nebenan irritieren lassen. Ähnlich erging es auch dem damaligen Westberliner Sven Ottke, nur dass er nicht zweimal gegen den Kanadier Egerton Marcus antreten musste.
Letzte Spiele der DDR
Mit Mittelgewichtler Henry Maske, Leichtgewichtler Andreas Zülow und Fliegengewichtler Andreas Tews schlugen sich drei DDR-Boxer bis ins Finale durch. Obwohl Ring- und Kampfrichter vom Internationalen Boxverband AIBA immer wieder verwarnt wurden, kam es zu mitunter haarsträubenden Urteilen. So auch bei Andreas Tews. Der Fliegengewichtler wurde nach allen Regeln der Fehlurteilskunst verschaukelt. Er unterlag dem Südkoreaner Kim Kwang-sun umstritten nach Punkten, nachdem er im Halbfinale den Algerier Benaissa Abed bezwungen hatte.
Vier Jahre später in Barcelona bringt Olympia-Boxtrainer Otto Ramin den zum Federgewichtler aufgestiegen Tews zu den Spielen wieder in Topform. Diesmal sitzt ein faires Kampfgericht am Ring. Der Schweriner gewinnt gegen den Lokalmatador Faustino Reyes klar mit 16:7. Heute versucht Tews, als Gastronom zu punkten. „Andreas geht es gut. Sein Job macht ihm Spaß“, erfahren wir von Otto Ramin. Zudem erscheint der Olympiasieger gelegentlich noch in der Schweriner Halle, um selbst gegen die Boxgeräte zu hämmern. Manchem Boxfreund ist es nicht immer gleich bewusst. Der heute 55 Jahre alte Tews ist immer noch unangefochten der erfolgreichste deutsche Olympia-Boxer aller Zeiten.
Olympia-Gold für Maske und Zülow
Der populärste deutsche Boxer der Gegenwart dürfte allerdings unangefochten Henry Maske sein. Der inzwischen 60 Jahre alte Ringstar schwört auch heute noch auf den Beistand und die Erfahrung seines Trainers Manfred Wolke. Ähnlich wie Andreas Zülow von seinem leider schon verstorbenen Trainer Fritz Sdunek. Der Schweriner Leichtgewichtler Zülow hatte sich durch Siege über Patrick Waweru (Kenia), Giorgio Campanella (Italien), Kostya Tszyu (UdSSR), Mohamed Hegazi (Ägypten) und Romallis Ellis (USA) bis ins Finale gegen den Schweden George Cramne durchgesetzt. „Auf den tapferen Schweden fiel eigentlich in keiner Sekunde des Kampfes ein Schimmer des Goldes. Zu sicher führte der Junge aus Mecklenburg das Faustgefecht“, schrieben damals die Journalisten.
In meinem Notizheft stehen noch die Sätze von Andreas Zülow: „Ich setzte von Anbeginn meine schnelle Führungshand ein, boxte aber auf Konter und versuchte, gelegentlich meine Kombinationen anzubringen.“ Im Halbdunkel der Halle hob Andreas nach dem Kampf den Arm seines Trainers Fritz Sdunek, als wäre er der Ringrichter, der seinem Trainer den Sieg zuzusprechen hätte. Heute liegt die Goldmedaille sicher in einem Schrank in der Wohnung der Zülows. „Ich mache kein großes Aufheben von meinen früheren Erfolgen“, sagt der Olympiaheld, der heute eigene Gyms für Freizeit-Boxer in Schwerin und Gadebusch betreibt. Gewundert hat er sich allerdings schon, als ihn unlängst einer seiner Freizeit-Boxer fragte: „Herr Zülow, haben Sie früher auch geboxt?“
Unmittelbar nach Zülow standen sich in Seoul im Halbweltergewicht der Russe Wjatscheslaw Janowski und der Australier Grahame Cheney im Ring gegenüber. Der Russe gewann deutlich, womit der Kaiserlauterer Reiner Gies als Zuschauer des Kampfes schon gerechnet hatte. Reiner Gies hatte sich nach einem klaren Sieg gegen Sodnomdarjaagiin Altansükh (Mongolei) bis ins Halbfinale gekämpft, wo er dann auf den Russen Janowski traf. Gies fing sich leider gleich in der ersten Runde einen schweren Haken ein. Das kleine Einmaleins des Ringrichters musste er sich bis zum Ende anhören. Aber die gewonnene Bronzemedaille ist für den einstigen Halbweltergewichtler bis heute der Stolz seiner Boxer-Karriere.
Mittelgewichtler Henry Maske kletterte in Seoul drei Kämpfe später durch die Ringseile. Auf dem Wege ins Finale hatte der Modellathlet aus Brandenburg schon Helman Palije (Malawi), den Italiener Michele Mastrodonato und den Kenianer Christopher Sande ausgebootet. Sello Mojela aus Lesotho konnte verletzt nicht antreten. Im Finale traf der Boxer aus Frankfurt an der Oder dann auf Egerton Marcus. Marcus hatte im Viertelfinale den Berliner Sven Ottke nach Punkten bezwungen. Gegen Henry Maske hatte der Kanadier jedoch keine Chance und ging mit 0:5 unter. Marcus kämpfte in Seoul tapfer, konnte sich aber gegen die gezielten Treffer Maskes nicht wehren. Als Profi traf der spätere „Gentleman“ übrigens noch einmal auf Egerton Marcus. Er gewann auch diesen Kampf klar.
Ottke ohne Edelmetall bei Olympia
Sven Ottke unternimmt bei den Olympischen Sommerspielen 1992 in Barcelona und 1996 in Atlanta zwei weitere Anläufe auf olympisches Edelmetal, scheitert aber beide Male am Kubaner Ariel Hernandez. Als Ottke 1997 zum Sauerland-Stall und damit ins Profilager wechselt, hat der andere deutsche Mittelgewichtler von Seoul, Henry Maske, seine Profi-Laufbahn gerade beendet. Ein Jahr nach den Spielen von Seoul fiel die Mauer und Maske wechselte mit seinem Trainer Manfred Wolke zu den Profis von Promoter Wilfried Sauerland.
Fans in der alten Bundesrepublik sahen mit Maske plötzlich einen völlig anderen Boxtyp. Gebildet und mit einer ordentlichen Ausdrucksweise. Einser-Abitur und anständiges Auftreten verschafften ihm Respekt. Davon profitierte er auch später als Unternehmer mit mehreren McDonald‘s-Restaurants. „Die habe ich inzwischen aber verkauft. Ich bin voll ausgelastet mit Vorträgen“, sagt der Ex-Weltmeister. Außerdem nimmt die Stiftung „A Place for Kids“ für sozial benachteiligte Kinder seine Zeit in Anspruch. Das Jubiläum des ersten Profi-Weltmeistertitels am 20. März 1993 will Maske nicht allein als wichtiges Jubiläum stehen lassen: „Als meinen wertvollsten Sieg betrachte ich immer noch den Olympiasieg 1988 in Seoul“, erklärt Maske.
Henry Maske lebt heute mit Ehefrau Manuela und den beiden Töchtern Lina und Sara in Overath. In die alte Heimat zieht es die Maskes in erster Linie an die Ostsee. Der coole Henry kommt sogar ein bisschen ins Schwärmen, wenn er sagt: „Wie wahrscheinlich die meisten Ossis lieben wir die Ostsee, deshalb verbringen wir dort gern unsere Urlaube.“
Text von Manfred Hönel