Faustkampf liegt im Trend bei Jugendlichen. Das sportliche Gefälle ist aber groß, die Spitze sehr schmal. Und: Trainer fehlen, vor allem Trainerinnen. BOXSPORT mit einem Nachwuchs-Report.
Fraglos, wichtig ist der Unterbau. Denn ohne Fundament keine stabile Statik. Auch im Breiten- und Leistungssport, etwa beim olympischen Boxen. Und fest steht: Faustkampf ist trendy bei Teens, boomt vielerorts. Mit der Folge, dass einige Boxvereine oder Klubs mit Boxabteilungen einen Aufnahmestopp für Neumitglieder verhängt haben. Mangels Trainer und Hallenzeiten, mangels Organisatoren und Ehrenamtliche im Verein samt Umfeld. Warum ist das so? Dazu gleich.
Zunächst: Nach der Coronakrise gab es viel Nachholbedarf, viel Bewegungsdrang. Das ist bekannt. Interessanter ist das: „Jugendliche merken, Boxtraining ist abwechslungsreich, fordert dich, gibt dir was, es ist einfach ein cooler Sport“, weiß Thomas Sabautzki. Der A-Lizenz-Trainer ist seit Anfang des Jahres U17-/U19-Übungsleiter am Bundesstützpunkt des Deutschen Boxsport-Verbands (DBV) in Frankfurt/Oder, vorher war er Lehrwart beim Bayerischen Boxverband (BABV).
Rekord bei Teilnehmern
Bloß, wie gut sind talentierte Ambitionierte im Seilgeviert? „Ich bin zufrieden, kann über die, die in die absolute Leistungsspitze nachrücken, nicht klagen“, sagt Beatrice Bastian zu BOXSPORT. Eine, die es beurteilen kann. Bastian ist Teammanagerin für den Nachwuchs U17 bis U22 beim DBV. Sie kennt die Entwicklungen, die Aufs und Abs; aktuell den Aufschwung. Beispiel: die Rekorde von Teilnehmern bei Deutschen Meisterschaften (DM). Beispiel des Beispiels: die nationalen Titelkämpfe der U17 Mitte April in Chemnitz. 176 Athleten (138) und Athletinnen (38), 151 Fights an vier Tagen in zehn Veranstaltungen. Ergebnis: großartiger Einsatz, fantastisches Teamwork – und nicht zuletzt solider Boxsport, resümierte Olaf Leib, Präsident des Boxverbands Sachsen und Organisationsleiter der U17-DM.
Eine, die glänzte: Fliegengewichtlerin Cinnia Hofmann (bis 50 kg) vom SV Empor Bad Langensalza aus dem Thüringer Boxverband. Glatter Punktsieg im Finale gegen ihre Kontrahentin Juli Kurrek von den Schweriner Traktoristen. Die 16-jährige Hofmann aus Sabautzkis Trainingsgruppe holte den U17-DM-Titel zum zweiten Mal hintereinander. Wermutstropfen: In diesem Limit waren nur die beiden Nachwuchs-Finalistinnen angetreten. Sabautzki nüchtern: „Es fehlt an Leistungsdichte bei den Mädchen und Frauen.“ Davon lässt sich Hofmann nicht beirren. Sie bleibe voll auf das wettkampfmäßige Clinchen fokussiert, das sei ihr wichtig, erklärt sie gegenüber BOXSPORT. „Nur das.“ Die Deutsche Doppel-Meisterin Hofmann wurde in Chemnitz zugleich als weibliche Turnier-Beste ausgezeichnet.
Rowdy-Image passé
Apropos Boxsport als Jugendphänomen. „Boxen hat längst nicht mehr das Rowdy-Image früherer Tage. Interessierte kommen aus allen Schichten, querbeet“, berichtet Eldin Lekusic. Der Cheftrainer von Hauptstadt-Boxen Berlin betreibt seinen Verein erst seit vier Jahren. Für viele von Lekusic‘ Schützlingen steht nicht die Titelschlacht im Ring im Vordergrund, sondern der Freizeit- und Gesundheitsaspekt. „Aber die, die es wollen, bereiten wir auf Wettkämpfe vor.“ Und das klappt. Bei der vergangenen U19-DM Ende Juni in Königsbrunn bei Augsburg hat der „Hauptstadt“-Weltergewichtler Rihono Kwiek Bronze geholt. Um weitere Erfolge einfahren zu können, müssten Vereinsstruktur und Personaltableau systematisch ausgebaut werden. Lekusic: „Wir sind als Hauptstadt-Boxen noch in der Lernphase, können mit den großen Vereinen noch nicht mithalten. Aber wir arbeiten an uns, von Meisterschaft zu Meisterschaft.“
Richtig, der Boxsport erlebt einen Auftrieb, spürbar unter Jugendlichen, bestätigt Ali Cukur auf BOXSPORT-Nachfrage. Die Boxabteilung beim TSV München 1860 hatte lange Zeit durchschnittlich um die 300 Mitglieder, jetzt sind es knapp 700. Ein Manko in der Nachwuchs-Ausbildung: Es fehlt an qualifizierten Trainern, betont Cukur. Zu viele brächten keine Ringerfahrung mit; weder als Amateur noch als Profi. Aber genau das sollte bei lizenzierten Übungsleitern eine Bedingung sein. Nur, ein alleiniges Kriterium ist das nicht. Zumal Lekusic gewissermaßen ein patenter Gegenentwurf ist. Offizielle Wettkämpfe hat er im Boxen nie absolviert, als guter Trainer gilt er bei Sportlern und Verbandsfunktionären trotzdem. Vielleicht ließe sich der Fachkräftemangel bei Coachs durch „Anreize, die über eine Übungsleiterpauschale hinausgehen, beheben“, bemerkt Lekusic.
Und wie ist die Situation bei Trainerinnen? Beinahe desaströs. Weibliche Ansprechpersonen im Boxsport sind besonders rar, sagt die WIBF-Weltmeisterin im Leichtgewicht, Dilar Kisikyol. Jene benötigten und suchten Mädchen und junge Frauen aber dringend. Auch Beatrice Bastian weiß um diese „große Leerstelle“. Unzählige Male habe sie sich darüber den Kopf zerbrochen. Bislang ohne zündende Idee.
Sportliches Gefälle im Nachwuchs
Den Kopf zerbrechen kann man sich auch darüber: Sollten Nachwuchsathleten mit nur ein paar Ringrunden schon an einer DM teilnehmen dürfen, fragt Cukur. Auch weil jene international kaum mithalten könnten. Aber: Vereine und Verbände sind auf Meistermedaillen angewiesen. Gelder und Förderungen hängen davon ab. Also schicken sie Jungspunde bisweilen verfrüht in den Fight um Lorbeeren. Das sportliche Gefälle sei dabei groß, räumt DBV-Managerin Bastian ein. Die Spitze von jungen Topleuten folglich sehr schmal, die Niveauunterschiede zur „breiten Masse“ teils enorm.
Sicher, die Probleme sind vielfältig. Nichtsdestotrotz gebe es „Leuchttürme“ aus den Kaderschmieden des DBV. Etwa die U22-EM-Champs Stefanie von Berge und Nikita Putilov. Bastian: „Das sind die Früchte unserer harten Arbeit.“ Der Arbeit am stabilen Unterbau.
Text: Oliver Rast