BOXSPORT blickt zurück auf die beeindruckende Karriere von Regina Halmich. Im zweiten Teil geht es um die Showkämpfe gegen Raab und ihre Vorreiterrolle im Frauenboxen.
Einen männlichen Gegner besiegt sie in zwei Schaukämpfen: Stefan Raab. Halmich möchte nicht gerne auf diese beiden Spektakel reduziert werden, wollte sich eigentlich gar nicht auf das erste Duell im Jahr 2001 einlassen. „Ich war skeptisch, weil ich als ernstzunehmende Sportlerin wahrgenommen werden wollte. Aber mit seinen Sprüchen hat er mich übers Fernsehen tagelang herausgefordert, dass er die Cellulitispeitsche auspackt und dergleichen. Sprüche gegen Frauen, die man heutzutage als puren Sexismus bezeichnen würde. Das war schon extrem unverschämt“, beschreibt sie den Weg zu dem Exhibition Match.
Halmich schlägt Raab die „Fresse ein“
Bei der Pressekonferenz im Kölner Maritim Hotel legt Raab nach. Er habe sich auf den Kampf vorbereitet, in dem er Freundinnen beim Kochen und Putzen zugesehen hat, erklärt er. Und dichtet ein Spottlied mit Reimen wie „Ich hau dir erstmal die Zähne raus, und schick dich dann zurück ins Frauenhaus“. Halmich kontert mit eigenen Sprüchen: „Für mich war es nicht der finanzielle Reiz, sondern in deine Fresse kann man einfach nur reinschlagen, das möchte ich gerne.“ Für ihre sportliche Karriere hat das Match gegen den 37 Kilo schwereren Entertainer keine Bewandtnis, lässt ihre Popularität aber erst recht explodieren.
Ob eine Niederlage überhaupt keine Auswirkungen auf ihre Karriere gehabt hätte? „Wenn ich gegen Raab verloren hätte, da hätte ich mein Gesicht verloren, egal ob sportlich oder privat“, sagt Halmich bestimmt. Sie behält jedoch ihr Gesicht und demoliert das von Raab, dem sie die Nase bricht. „Es war ein Ausflug in eine Showwelt, aber es hat mir auch Spaß gemacht“, beurteilt sie die Matches gegen den „TV Total“-Moderator im Nachhinein. Für einen Rückkampf kehrt sie im März 2007 in diese Welt zurück. Dieses Mal ist es das ganz große Spektakel: Raab fährt mit einem Panzer ein, 19.500 Zuschauer sind in der Kölnarena vor Ort, im TV verfolgen 7,74 Millionen Zuschauer die Show, bei der Halmich den einstimmigen Punktsieg über den Entertainer erzielt.
Bezahlung nach Quote, nicht nach Geschlecht
Mit seinen despektierlichen Äußerungen in Sachen Frauenboxen ist Raab zum Zeitpunkt ihres ersten Duells kein Einzelfall. „Ich bin mit solchen Sprüchen großgeworden, hatte mir schon ein hartes, dickes Fell angeeignet und gemerkt, dass ich mit dieser ganzen Machoriege fertig werden muss, bis hin zu den Journalisten, die mir die dämlichsten Fragen gestellt haben, so typische Frauenfragen“, beschreibt die Box-Queen den Kampf um Gleichberechtigung. Den führt sie auch am Verhandlungstisch.
Das ZDF will ihre Kämpfe erst gar nicht übertragen, ab 2004 nur gegen geringere Bezahlung. Halmich zieht den Sportanwalt Christoph Schickhardt hinzu, der eine den Männern gleichgestellte Entlohnung bei ihren letzten Kämpfen durchsetzt. „Er hat meine letzten Verträge gemacht und durchgesetzt, dass ich nach Quote und nicht nach Geschlecht bezahlt werde. Das war mein finanzieller Durchbruch, weswegen ich heute noch vom Boxen leben kann“, sagt Halmich. „Damals war mir das alles noch nicht so bewusst, heute weiß ich, dass etwas ganz Besonderes passiert ist. Im Prinzip war ich die erste Frauenboxerin in Europa, die so gut verdient hat.“
Als Lokalmatadorin feiert sie am 11. November 2007 ihre Abschiedsvorstellung: In der DM-Arena in Karlsruhe bezwingt sie Hagar Shmoulefeld Finer nach Majority Decision, „Danke Regina, Du bist die Größte!“ wird mit Feuer an eine Aufhängung an der Hallendecke geschrieben. Die Hymne auf Halmich, „She‘s the Queen“, singt eine weitere Powerfrau: Doro Pesch. Als Heavy-Metal-Sängerin und frühere Frontfrau der international bekannten Band hat sich ebenfalls in einer Männerdomäne behauptet. „Wir haben beide eine Vorreiterrolle – das verbindet“, sagt Halmich über die Musikerin, mit der sie 25 Jahren befreundet ist, die mehrere Songs für Halmich geschrieben hat und bei ihrem Abschiedskampf als Live Act auftritt. Die Bilanz von Halmichs höchst erfolgreicher Karriere: 56 Kämpfe, davon 54 Siege, von 1995 bis 2007 unbesiegte WIBF-Weltmeisterin.
Halmich ist Vorreiterin im Sport
Mit Halmichs Erfolg nimmt das Frauenboxen weltweit Fahrt auf. Ihre bisherigen „Hall of Fame“-Kolleginnen sind alle erst nach ihr Profi geworden. Langsam, aber stetig bewegt sich etwas im Sport. 2012 wird Frauenboxen olympisch, jüngst fand mit Katie Taylor vs. Amanda Serrano der erste Frauen-Hauptkampf im legendären Madison Square Garden statt. Halmich führt das auch darauf zurück, dass auf Männerseite eine jüngere Generation am Drücker ist. „Zu meiner Zeit gab es Wilfried Sauerland, Klaus-Peter Kohl, international Leute wie Bob Arum – das sind alles Männer, die sich noch recht schwergetan haben mit dem Frauenboxen.
Die Sauerland-Brüder, die das Geschäft ihres Vaters übernommen haben, unterstützen es. International sind Oscar de la Hoya und Roy Jones jr. Förderer. Nach dem Kampf Taylor vs. Serrano hat Dwayne ‘The Rock‘ Johnson den beiden Damen per Twitter gratuliert, Lennox Lewis hat sich vor ihnen verneigt.“ Vor allem einen Mann sieht sie in der Vorreiterrolle: „Man kann sagen, dass Matchroom-Boss Eddie Hearn gewissermaßen die Arbeit von Klaus-Peter Kohl übernommen hat. Jetzt ist England die Hochburg des Frauenboxens.“
Nachdem auch die Verbände nachgezogen haben, sieht Halmich auch eine schwindende Bedeutung für die WIBF: „Damals war das der einzige nennenswerte Verband, der Frauenboxen sanktionieren wollte. Die vier Weltverbände der Herren haben erst nachgezogen, als sie gesehen haben, was bei uns in Deutschland abgeht und was ich für eine Einschaltquote hatte. Aber seitdem die vier Großen mit dem Frauenboxen begonnen haben, kann die WIBF nicht mehr mithalten, erst recht nicht die ganzen kleinen Verbände, die gegründet wurden.“
Hoher Bekanntheitsgrad, auch außerhalb des Ringes
Halmich ist auch außerhalb von Box-Kreisen bekannt. Schon während ihrer Karriere nimmt sie Engagements wie die Raab-Fights wahr, ziert zweimal das Cover des „Playboy“. „Wenn man eine Anfrage vom ‚Playboy‘ bekommt, dann fühlt man sich als Frau immer geschmeichelt. Der ‚Playboy‘ ist, für mich zumindest, immer noch das schönste Männermagazin mit den schönsten Frauen auf dem Cover, da ist schon ein gewisser Anspruch da“, urteilt sie über das Traditionsmagazin. „Bei mir kam hinzu, dass ich in den Medien immer als Boxerin präsent war. Immer wenn ich gekämpft habe, hat man mich nur mit Vaseline verschmiert, verschwitzt, ungeschminkt und unvorteilhaft gesehen. Für mich war der Gedanke sehr reizvoll, mich auch mal als Frau präsentieren zu können.“
Wichtig ist Halmich allerdings der Zeitpunkt, an dem sie die Anfrage annimmt. „Wenn man Weltmeisterin ist und diese Leistung erbracht hat, dann kann man sich das auch leisten. Schlimm wäre es gewesen, wenn ich keine Erfolge im Boxring gehabt hätte und dann so ein Shooting gemacht hätte.“
Dank ihrer Popularität ist Halmich heute als selbstständige Unternehmerin umtriebig und kann sich ihre Jobs aussuchen. Vor allem hält sie Vorträge in Firmen. „Als Speakerin berichte ich von meiner Karriere, was das Business und der Sport gemeinsam haben, wie man mit Niederschlägen umgeht, wie man sich immer wieder motiviert, wie man erfolgreich bleibt“, beschreibt sie ihre Haupttätigkeit. Auch als Moderatorin und Interviewpartnerin ist die Box-Queen gefragt. „Ich habe immer gut zu tun. Was mich wahnsinnig glücklich macht und womit ich nicht gerechnet hätte, ist, dass ich immer noch Sponsoren habe. Das zeigt mir, dass sich die Disziplin, die nach meinem Sport habe, sich lohnt und dass ich mich weiterentwickle.“
„Gänsehaut bekommen“
Eine enge Freundschaft verbindet Halmich mit der Schauspielerin Tina Ruland, die sie 2009 bei einem Event kennenlernte. Mittlerweile wohnen beide in Berlin und sehen sich häufig, Halmich hat zudem noch einen Zweitwohnsitz in Karlsruhe. Ihre alte Trainingsstätte hat sie seit einer Weile jedoch nicht mehr besucht: „Nach dem frühen Tod von Jürgen Lutz im Jahr 2019 war ich kein einziges Mal mehr im Bulldog Gym. Ich finde es gut, dass das Gym fortgeführt wird, die machen da auch eine tolle Arbeit, aber ich verbinde es immer noch mit meinem Mentor Jürgen Lutz.“
Das deutsche Frauenboxen sieht Halmich derzeit in der Krise. „Im Moment haben wir Tina Rupprecht, Christina Hammer, Nina Meinke. Und Sophie Alisch, die wird kommen. Die darf man natürlich nicht zu früh ins Feuer schicken, die braucht noch zwei, drei Jahre. Aber sie ist wirklich toll. Wenn man es richtig anstellt, dann kann sie eine ganz Große werden. Ich würde jeder Frau, die heute im Boxen Geld verdienen will, raten bei Matchroom Boxing anzuklopfen, vielleicht noch bei Oscar de la Hoya.“
In ihren Augen hat sich das Frauenboxen in den letzten Jahren weiterentwickelt. „Es ist noch athletischer geworden“, meint sie. Halmich kommentierte bei DAZN auch den geschichtsträchtigen Superfight zwischen Katie Taylor und Amanda Serrano, der vor ausverkauftem Haus stattfand und dem Streamingdienst fantastische Quoten bescherte: „Das Erlebnis hat mich schon berührt. Als ich gesehen habe, wie viel Aufmerksamkeit dieser Kampf kriegt und wie viele Anerkennungen diese beiden Frauen bekommen, da habe ich Gänsehaut bekommen, das war schön.“
Text von Nils Bothmann
Dieser Text ist zuerst in BOXSPORT 06/2022 erschienen.