Seine Disziplinlosigkeiten kosteten David Benavidez bereits zwei Mal den WM-Gürtel. Doch damit soll jetzt Schluss sein. Nachdem der Supermittelgewichtler seinen Erzfeind Caleb Plant bezwingen konnte, hofft er nun auf die lang erwartete Chance gegen Canelo Alvarez.
Nach Jahren des Trash-Talks und der gegenseitigen Anfeindungen stehen die ehemaligen Supermittel-Champions David Benavidez und Caleb Plant einander am 25. März 2023 endlich im Ring gegenüber. Plant startet schnell und stark, gewinnt viele der Runden in der ersten Hälfte, muss sich jedoch der Power seines Gegners geschlagen geben. Unbarmherzig setzt der schlagstarke Benavidez dem Edeltechniker mit Körpertreffern zu, sodass Plant die letzten Runden nur noch mit dem Mut der Verzweiflung übersteht. Zwar kann Benavidez den Defensivspezialisten nicht k.o. schlagen, wie er es sich vor dem Kampf gewünscht hatte, aber immerhin klar nach Punkten besiegen. Damit kann er ein wichtiges Kapitel seiner Karriere abschließen und ein neues endlich aufschlagen, doch dazu später mehr.
Bereits als Dreijähriger im Gym
Der K.o.-Schläger, der nur vier seiner 27 Profi-Fights nicht vorzeitig gewann, wird am 17. Dezember 1996 in eine Boxerfamilie hineingeboren, als Sohn eines Mexikaners und einer ecuadorianisch-dominikanischen Mutter. Sein Vater José Benavidez Sen. ist bis heute sein Trainer, unterrichtet zuerst Davids älteren Bruder José Jr., der jüngst als Schwergewichtsweltmeister in dem Boxerfilm „Creed III“ zu sehen war – vom Gewicht her eher eine Rolle für seinen jüngeren Bruder.
David folgt dem älteren Bruder bereits als Dreijähriger ins Gym, zieht viel zu große Handschuhe an und beginnt zu boxen. Viele der Ausdauerübungen, die der Vater ihm und seinem Bruder aufbrummt, kann David nicht leiden. Trotzdem findet er im Faustfechten aber den Sport, der ihn am meisten begeistert. „Große Teile meiner Kindheit bestanden aus Boxen, früh aufstehen, Lauftraining am Morgen, ins Gym gehen. Als Kind mag niemand das Training, aber man lernt es zu lieben“, erzählt er dem „The Ring“-Magazin 2017.
Aufstieg und Verfehlungen von David Benavidez
Als Amateur hat Benavidez eine kurze, aber makellose Karriere: 15-0 lautet seine Bilanz. Ein Grund dafür ist, dass sein Vater ihm direkt das Boxen für den Profiring beibringt. Der Junge weckt schnell das Interesse der Boxwelt, darf mit 14 als Sparringspartner für Gennady Golovkin herhalten. Ein Jahr später kommt er jedoch außer Form, wiegt über 110 Kilogramm, nachdem sein älterer Bruder Profi wird, mit dem Vater fortzieht und nicht mehr als Motivator für David dient.
Fast Food und Süßigkeiten sind eine Schwäche, die Davids Karriere fast im Keim erstickt. Doch Benavidez reißt sich am Riemen: „Ich wollte nicht der nächste Butterbean sein“, sagt er mit Verweis auf Schwergewichtler Eric „Butterbean“ Esch, eher für seine Leibesfülle als für seine Leistungen im Ring bekannt. Er speckt rund 36 Kilo ab, wird mit 17 Jahren Profi im Supermittel – in Mexiko.
Seine ersten sieben Kämpfe boxt der US-Amerikaner jenseits der Grenze und gewinnt alle vorzeitig. In seinem US-Debüt am 20. Dezember 2014 muss er erstmals über die Runden, besiegt Azamat Umarzoda aber mit drei Mal 60:53 auf den Scorecards. In den folgenden zweieinhalb Jahren und zehn Kämpfen schickt er jeden Gegner in den Ringstaub. Im Oktober 2015 unterschreibt er einen Vertrag bei Sampson Boxing von Promoter Sampson Lewkowicz.
Jüngster Mittelgewichts-Champ aller Zeiten
Als ein Kampf um den vakanten WBC-Gürtel im Supermittel zwischen Callum Smith und Anthony Dirrell nicht zustande kommt, erhält Benavidez als Nummer zwei der Herausfordererliste seine Titelchance. Am 8. September 2017 steigt er gegen den Rumänen Ronald Gavril in den Ring, siegt via Split Decision und stellt einen Rekord als jüngster Champ in der Geschichte des Supermittelgewichts auf. Es bleiben jedoch Zweifel an der Klasse des damals 20-Jährigen: Viele der Runden sind eng, auf zwei Punktzetteln gewinnt Benavidez mit 117:111 und 116:111, auf dem dritten verliert er mit 111:117. Außerdem musste der gefürchtete K.o.-Puncher in der Zwölften einmal auf die Bretter. Ein Rematch muss für klare Verhältnisse sorgen.
Erkenntnisgewinn und Läuterung des David Benavidez
Am 17. Februar 2018 dominiert Benavidez seinen Gegner im Rückkampf, mit zwei Mal 120:108 und 119:109 steht ein einstimmiger Punktsieg zu Buche. Er darf sich als König fühlen, doch dem Jung-Champ steigt der Ruhm zu Kopf und andere Dinge werden plötzlich wichtiger. Bei einem VADA-Test im September des Jahres findet man Spuren von Kokain in seiner Urinprobe.
Die Strafe folgt auf dem Fuß: Er verliert den Titel und kassiert eine viermonatige Sperre. Im Gegensatz zu anderen Drogensündern steht der Power-Puncher jedoch zu seiner Tat. „Ich möchte mich beim WBC ausdrücklich für meine Taten entschuldigen. Es ist mir peinlich, dass dies passiert ist. An meine Fans, deren Respekt ich verloren habe: Ich weiß, dass viele Leute mich nicht mehr so sehen werden wie früher, aber ich bin jung und es war ein Fehler meinerseits“, entschuldigt er sich bei Twitter.
David Benavidez vs. Caleb Plant – die Anfänge der Fehde
Genau zu jener Zeit beginnt auch die Fehde mit Caleb Plant. Im Gym kommt es zum Streit der beiden Supermittelgewichtler und deren Teams. Plant will gehört haben, dass Jose Sen. in einem Interview über ihn gesagt hat, dass er den Tod seiner Tochter zu Marketingzwecken ausschlachte. Am Ende eines Wortgefechts ohrfeigt „Sweethands“ den Vater und Trainer der Benavidez-Brüder, es gibt böses Blut.
2019 holen beide Rivalen Titel in ihrem Limit: Plant wird IBF-Champ, Benavidez zum zweiten Mal WBC-Weltmeister, als er Anthony Dirrell am 28. September durch T.K.o. in der Neunten besiegt. Die jungen Champs bekriegen sich über die Medien, es kommt aber kein Kampf zustande. Beide dürfen ein Jahr später von ganz anderen Fights träumen: Nach seinem Bruch mit Golden Boy Promotions will Canelo Alvarez alle Titel im Supermittel vereinen, muss also an beiden für dieses Ziel vorbei.
Titel futsch: „El Bandera Roja“ patzt beim Gewichtmachen
Doch Benavidez, der unter dem Namen „El Bandera Roja“ (deutsch: die rote Flagge) boxt, strauchelt erneut außerhalb des Rings: Vor seinem Kampf gegen Roamer Alexis Angulo im August 2020 patzt er beim Gewichtmachen. Der Titel steht nur noch für den Herausforderer auf dem Spiel, doch der muss nach zehn Runden gegen den schlagstarken US-Amerikaner aufgeben.
Moralisch ist es für Benavidez eine geringere Verfehlung als der erste Titelverlust, karrieretechnisch eine größere Katastrophe. Er muss tatenlos zusehen, wie das WBC den nun vakanten Gürtel als zusätzliche Trophäe beim Duell zwischen Canelo und WBA-Super-Champ Callum Smith im Dezember des Jahres ausschreibt. Canelo besiegt nicht nur Smith, sondern auch die Titelträger Billy Joe Saunders (WBO) und Caleb Plant (IBF), wird erster Undisputed Champ in der Geschichte des Supermittel.
Das Problem mit Gewichtmachen gegen Angulo nährt die Vorwürfe, Benavidez sei ein „Weight Bully“, also jemand, der eigentlich zu groß und zu schwer für seine Gewichtsklasse sei, sich vor jedem Kampf gerade noch auf das erlaubte Gewicht herunterbringe. Benavidez selbst erklärt, dass er wegen der Corona-Pandemie nicht in die Sauna gekonnt hätte und daher nicht genug Kilo verlieren konnte. Für Plant ein gefundenes Fressen: Er verspottet seinen Rivalen auf Social Media als „Fettarsch“ und „David ‚Doppelburger‘ Benavidez“.
Parallelen zwischen David Benavidez und Mike Tyson
Der zweite große Vorwurf lautet, dass der K.o.-Schläger nicht gegen namhafte Opposition antrete. Dieser ist jedoch weniger gerechtfertigt, denn ohne Titel wird der brandgefährliche Fighter von prominenten Gegnern gern gemieden. Viele Fans brennen auf ein Duell zwischen Benavidez und Canelo. Der US-Amerikaner gilt als stärkster Herausforderer im Supermittel. Doch der Superstar hat andere Pläne, versucht sich im Halbschwer erfolglos an Dmitrii Bivol, boxt danach das Trilogie-Finale gegen Gennady Golovkin.
Benavidez nimmt die Kämpfe an, die er kriegen kann, schickt unter anderem sein früheres Idol David Lemieux am 21. Mai 2022 mit einem T.K.o. in der Dritten in den Box-Ruhestand. Er hat weiterhin viele Fans, darunter einen sehr prominenten: Mike Tyson. Der lobt das K.o.-Monster in den höchsten Tönen: „Er war früher ein kleiner, fetter Junge und wollte sich der Welt beweisen. Die besten Boxer der Welt sind die unsichersten.“ Vielleicht sieht Tyson, als Kind ebenfalls ein schüchterner Junge, etwas von sich selbst in Benavidez. Und er gibt ihm einen neuen Kampfnamen, den der Jungstar annimmt: „Mexican Monster“.
„Beef“ mit Erzfeind Plant wird im Ring geklärt
2023 wollen das mexikanische Monster und sein Erzfeind sehen, wer denn nun der Bessere ist. Beide scheuen vor verbalen Tiefschlägen nicht zurück. „Ich werde die Scheiße aus Caleb Plant herausprügeln und ich freue mich darauf“, sagt Benavidez gegenüber „BoxingScene.com“. Er spielt auf Plants K.o.-Niederlage gegen Canelo an, als er bei einer Pressekonferenz erklärt: „Er weiß, wie der Ringboden schmeckt.“ Dort schießt sein Gegner zurück: „Ich werde in Form sein. Ich werde das richtige Gewicht haben. Ich werde nicht auf Koks sein und ich werde ihm den Arsch versohlen.“ Laut José Sen. hatte Plant eigentlich zugestimmt den Positivtest nicht mehr zu erwähnen, doch „Sweethands“ bricht sein Versprechen.
„Emotionen, vor allem Ärger, sind eine großartige Trainingsmotivation“, sagt Benavidez über seine Fehde mit Plant. Nach seinem Punktsieg mit 115:113, 116:112 und 117:111 sind die Emotionen jedoch heraus. Die Rivalen fallen sich in die Arme, sind voll des Lobes füreinander. „Wir waren alles andere als die besten Freunde, aber wir sind in den Ring gestiegen und haben die Sache wie Männer geklärt. David ist ein großartiger Boxer“, sagt Plant nach dem Kampf und nennt Benavidez „den besseren Mann an diesem Abend“. Zur Post-Fight-Pressekonferenz kommt „Sweethands“ nicht, da er sich nach der Tracht Prügel sicherheitshalber im Krankenhaus untersuchen lässt.
Nach dem Kampf gibt es Lob für den einstigen Erzfeind
Benavidez nennt den Plant-Fight den härtesten seiner Karriere. Er wird auf der Pressekonferenz gefragt, ob er überrascht war, dass sein Rivale den Kampf stehend beendet hat. „Ja, war ich. Ich wollte ihn erst runterputzen, aber ich mag den Kerl jetzt“, lobt er seinen früheren Erzfeind. Sie hätten durch ihre Feindschaft im Ring das Beste auseinander hervorgebracht, den Fans in den letzten fünf Jahren die beste aller Fehden serviert. „Wir haben viel Scheiße übereinander gesagt. Und ich sage nicht, dass das unnötig war, denn es war nötig. Dieser Kampf war riesig“, meint das „Mexican Monster“ zu seinem ersten Pay-per-View-Event.
Außerdem habe er einen Herausforderer dieses Formats gebraucht. Plant sei in den Top 3 des Supermittel, er an zweiter Stelle, auf Platz eins Canelo. Als WBC-Interims-Champ und Pflichtherausforderer wäre Benavidez eigentlich bald gegen Canelo am Zug, doch die Verbände lassen ihrem kassenträchtigen Goldesel viel Spielraum. Im Mai boxt Canelo gegen John Ryder, der bestenfalls Außenseiterchancen hat, im Herbst soll das Rematch gegen Bivol im Halbschwer stattfinden.
David Benavidez plant den Aufstieg ins Halbschwergewicht
Benavidez glaubt, dass er vielleicht noch vier Kämpfe im Supermittel in sich hat. Er hat mit PBC einen Drei-Kampf-Vertrag: Plant war der erste, es sollen der „reguläre“ WBA-Weltmeister David Morrell und Demetrius „Boo Boo“ Andrade als profilierte Gegner folgen. Außerdem auf der Wunschliste: Mittelgewichts-Champ Jermall Charlo, falls dieser eine Gewichtsklasse aufsteigt, und natürlich Canelo.
Gegen letzteren würde Benavidez auch im Halbschwer antreten, in das er irgendwann aufsteigen will. Er glaubt, dass er es nach einigen Aufwärmfights auch mit der Elite des Halbschwer aufnehmen kann, sowohl mit K.o.-King Artur Beterbiev (19 Knockouts in 19 Kämpfen) als auch mit Canelo-Bezwinger Dmitrii Bivol: „Ich habe viel mit Bivol gesparrt. Ich weiß also, was bei diesem Training passiert. Ja, ich könnte ihn schlagen. Ich kann ihn ausknocken.“
Text: Nils Bothmann
Dieser Beitrag erschien zuerst in BOXSPORT 05/2023.