Beterbiev vs. Bivol: Kampf der Könige

Das Jahr 2024 ist schon jetzt reich an „Mega-Fights“. Der größte aber steht womöglich erst bevor: Artur Beterbiev und Dmitry Bivol kämpfen am morgigen Samstag um die WM im Halbschwergewicht. Eine Krönung, auf die die Boxwelt schon lange wartet.

Am Wochenende ist es enddlich soweit! In Riad treffen K.o.-Maschine Artur Beterbiev (l.) und Defensiv-Spezialist Dmitry Bivol (r.) im Kampf um die Undisputed-Krone im Halbschwergewicht aufeinander. (Foto: Getty Images / Richard Pelham)

„Eine mystische Krone mit der Kraft, die Menschheit zu beherrschen.“ Was nach Hollywood, nach J.R.R. Tolkien klingt, ist lediglich der Trailer zu einem Faustkampf – womöglich dem Faustkampf des Jahres. Zwei Krieger sind in dem viereinhalb Minuten langen Film zu sehen. Schweigsame Krieger, die Widersacher eliminiert, Bären getötet und Lawinen getrotzt haben, um in der dünnsten aller Lüfte, auf dem Gipfel des Hochleistungssports, endlich den unumstrittenen König des Halbschwergewichts zu krönen: Artur Beterbiev (20-0, 20 K.o.) und Dmitry Bivol (23-0, 12 K.o.). Die Herren des Rings. Unbesiegt.

Es ist ein Kampf, nach dem die Boxwelt schon lange giert. Auf der einen Seite Beterbiev, 39 Jahre alt, IBF-Weltmeister seit 2017, der auch die WM-Gürtel von WBC und WBO erobert hat. Der einzige Champion im Boxsport mit einer K.o.-Quote von 100 Prozent, aber kein dumpfer Schläger, sondern eine ökonomisch, präzise mahlende Punch-Mühle, die ihre Gegner verlässlich pulverisiert. Und auf der anderen Seite Bivol, 33, der Meisterboxer, Edeltechniker und Canelo-Alvarez-Schreck, ebenfalls seit 2017 Weltmeister im Limit bis 79,379 Kilogramm, Inhaber des WBA-Zepters. „Das wird ein Kampf, der in die Geschichte eingeht“, prophezeite Bivols Promoter Eddie Hearn im Vorfeld und fügte – ganz ohne zu übertreiben – an: „Es ist der beste Kampf, den man heutzutage im Boxen machen kann.“

Ohne Trash-Talk an die Spitze

Die sportliche Klasse der Rivalen ist derart abgehoben, dass im Build-up des Gefechts die handelsübliche Marktschreierei gar nicht nötig war, um das Event entsprechend zu würzen. Wer auf markige Ansagen der Champions gehofft oder diese erwartet hatte, wurde enttäuscht. Genau wie im Hochglanz-Trailer der „Riyadh Season“ dargestellt, sind Beterbiev und Bivol keine Männer großer Worte, keine Schaukämpfer, keine Schaumschläger. „Ich mache nie eine Prognose. Was passiert, passiert. Ich bin auf verschiedene Details fokussiert, auf die Vorbereitung, um gute Dinge zu tun“, sagte Beterbiev auf einer Pressekonferenz in London lapidar. Vier Gürtel zu haben, bedeute im Preisboxen die Spitze des Olymps. „Ich will einen vierten gewinnen“, so der in Kanada lebende Russe.

Auch Beterbievs Landsmann Bivol, seit Jahren in Kalifornien heimisch, unterstrich, wie wichtig das Duell im Herbst seines Boxerlebens sei. „Was der Kampf für mich bedeutet? Ich bin im Boxen, seit ich sechs Jahre alt bin. Ich habe in meinem Leben so viel geopfert. Das ist der letzte Schritt. Habe ich alles richtig gemacht oder nicht?“, sinnierte der Champion.

Zum ersten Mal seit Michael Spinks in den 1980er-Jahren wird es (sofern die Punktrichter in Riad nicht in Remis-Laune sind) wieder den einen, ganz und gar unumstrittenen König der Halbschwergewichtler geben. Gewiss, Superstar Roy Jones jr. wurde in den USA zur Jahrtausendwende stets als „Undisputed Champion“ gefeiert, trat aber nie gegen den „linearen“ Weltmeister Dariusz Michalczewski an. Der „Tiger“, 1997 nach seinem Sieg über Virgil Hill als WBA-, WBO- und IBF-Regent ganz oben angekommen, machte es sich seinerseits in Europa gemütlich, wo er den damals noch weniger bedeutsamen WBO-Titel verteidigte.

In der zweiten Dekade des 21. Jahrhunderts sah es eine Weile so aus, als könne Sergey Kovalev die zersplitterte Krone zusammensetzen. Der „Krusher“ aus Russland vereinte die Gürtel von WBA, IBF und WBO. Ein Duell mit dem nicht minder schlagstarken WBC-Champion Adonis Stevenson blieb allerdings einer der vielen unerfüllten Träume der Boxfans. Kovalev verlor die Titel 2016 überraschend an US-Star Andre Ward. Der „Son of God“ ging danach aber lieber in Faustkampf-Rente, statt Jagd auf die WBC-Krone zu machen.

Beterbiev vs. Bivol – ein faszinierendes Duell

2024 findet der Kampf der besten Halbschwergewichtler um die herrenlose, verlassene, „mystische“ Krone endlich statt. Beterbiev gegen Bivol ist sportlich ein in jeder Hinsicht faszinierendes Duell. Weil Beterbiev die schiere Kraft hat, einen Gegner jederzeit zu brechen. Weil Bivol bewiesen hat, selbst einen Ausnahmekämpfer wie Canelo Alvarez auspunkten zu können. Kurzum: Weil der Ausgang des Kampfes nahezu unmöglich vorherzusagen ist.

Alter, Frische und das reine Boxvermögen sprechen für Bivol. Der WBA-Weltmeister stand erst am 1. Juni im Ring, als er Malik Zinda in sechs Runden vorzeitig besiegte. Schon an jenem ersten Junitag hätte der Blockbuster mit Beterbiev stattfinden sollen. Doch der Dreifach-Champion verletzte sich in der Vorbereitung am Meniskus, musste den Showdown verschieben und einige Wochen aussetzen. Er sei topfit, versicherte Beterbiev mit Blick auf den 12. Oktober: „Ich bereite mich immer zu 100 Prozent vor – halbe Sachen sind nicht meins.“ Für Mister 100 Prozent spricht die schiere Kraft seiner Hiebe, der bislang noch kein Gegner widerstanden hat. Wenngleich noch keiner seiner Gegner die Klasse Dmitry Bivols besaß. Der wiederum noch nie einem boxerisch versierten Rivalen mit der Power Artur Beterbievs gegenüberstand.

Kann Beterbiev auch Bivol übermannen und wie schon 20 Kontrahenten zuvor zermalmen? Oder kreisen die geschmeidigen Beine Bivols in gewohnter Manier um den Nebenbuhler und setzen die schnellen Kombinationen des WBA-Champions Beterbiev schachmatt? Wer ist der eine, der Auserwählte? Es wird Zeit für den Gong!

Text von Martin Armbruster


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