Der Boxclub Traktor Schwerin holt den fünften Mannschaftsmeister-Titel in Folge. Dennoch, dem Ligabetrieb fehlen Teams und Resonanz. BOXSPORT erklärt die Hintergründe.
Sie haben sich in der Ringmitte postiert, posen. Athleten, Trainer, Offizielle, Angehörige. Sie strecken dabei den linken oder rechten Unterarm vor die Hüfte, beugen das Handgelenk nach oben, spreizen alle fünf Finger. Eine Geste mit Symbolkraft: fünf Mal Deutscher Mannschaftsmeister in der Box-Bundesliga, Titelträger in Serie. Kurzum, der BC Traktor Schwerin hat es wieder geschafft.
Im Hinkampf der finalen Play-offs war es noch eine knappe Kiste. Die Traktoristen gastierten am 27. April in Westfalen beim MBR 31/46 Hamm. Nach sieben Fights stand es Remis 10:10. „Erstmals, seitdem ich dabei bin, dachte ich, wir schaffen den Finalsieg nicht“, räumte Traktors Schwergewichtler Melvin Kahrimanovic gegenüber BOXSPORT ein. Doch, doch. Im Rückkampf in der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns eine Woche später, am 4. Mai, dominierten die Schweriner im Seilquadrat – und triumphierten mit 12:9.
Planungen für nächste Saison beginnen
Das Fazit aus Verbandssicht? Ein ruhiger Saisonverlauf, keine Proteste seitens Vereinsverantwortlicher und nicht zuletzt qualitativ gute Kämpfe, sagt Detlef Jentsch im Gespräch mit BOXSPORT. Bereits jetzt würden die Planungen für die nächste Saison beginnen, so der Ligaobmann beim Deutschen Boxsport-Verband (DBV) weiter. „Faktisch haben alle bisherigen Teams zugesagt, wieder mitzumachen.“ Und vielleicht ein, zwei Vereine mehr.
Wobei, das Dilemma bleibt: Die Box-Bundesliga ist ein Miniaturformat, seit Jahren. Abermals hatten nur vier Vereine für die abgelaufene Saison gemeldet. Neben Schwerin und Hamm das Urgestein BC Chemnitz 94 und Rückkehrer BC Straubing. Lang ist es her, dass die Liga aus einer Nord- und Südstaffel samt zweitklassigem Unterbau bestand. Das hat Gründe, bekannte.
Nationale und internationale Wettbewerbe haben Vorrang, die Liga steht hintenan. Schließlich ist Boxen ein Individualsport, kein Mannschaftssport. Zuvorderst jedenfalls. Kaderathleten werden durch den DBV regelmäßig für Ligaeinsätze gesperrt, sollen sich auf Turniere vorbereiten – und verletzungsfrei bleiben. Übersetzt: Nicht die Besten klettern in den Ring, der sportliche Wert der Box-Bundesliga ist umstritten. Man könnte auch sagen: Dem Format fehlt das Format.
Entscheidend für Teilnahme oder Nicht-Teilnahme ist jedoch: die Etat-Frage. Ein Team zusammenstellen, Kampfabende organisieren, Kosten für Auswärtsfahrten und Hotels. Das alles schlägt ins Konto. Vereinschefs müssen Klinken putzen, Sponsoren suchen, Mäzene finden. Oft erfolglos. Ein Saisonbudget liegt bei rund 100.000 Euro. Minimum, sagen Insider unisono auf BOXSPORT-Nachfrage. Auch deshalb steht die Liga immer wieder auf der Kippe.
Mittel, die der DBV nicht hat
Stichwort Streaming-Dienst. Den gibt es zwar mit Sportdeutschland.tv, aber die Reichweite ist gering. Hinzu kommt: Der Anbieter stellt das technische Equipment und den Sendeplatz für die Box-Bundesliga. Nur nicht jeder Kampfabend wird übertragen. Teils fehlt es am Vereinsinteresse, teils an Manpower vor Ort – oder deutlicher ausgedrückt: an Professionalität. Und so lasse sich die Liga schlecht vermarkten, weiß Jentsch vom DBV. Agenturen scheuten ferner das finanzielle Risiko oder forderten zunächst einen sechsstelligen Betrag vom Verband. Mittel, die der DBV nicht hat.
Apropos Resonanz: Ein Publikumsmagnet ist die Liga nicht. Die Besucherzahlen bewegen sich bei einigen Hundert; stagnieren, wenn überhaupt. Beispiel: Play-offs. In Hamm waren rund 110 Boxsportfans in der Halle, in Schwerin 700. Regional berichten Gazetten und TV-Anstalten bisweilen. Und bundesweit? Fehlanzeige. Keine großen Namen, keine spektakulären Ringschlachten, keine Schlagzeilen. Ganz simpel.
Der Plan: mit Schwerin mithalten
Dennoch, niemand solle alles schlecht reden, wendet der neue Sportliche Leiter vom BC Straubing, Edgar Walth, gegenüber BOXSPORT ein. In seiner kleinen Arena in Niederbayern kamen bis zu 400 Zuschauer. „Das waren tolle, dynamische Kampfabende.“ Trotz der – zumeist recht knappen – Niederlagen seiner Schützlinge. Und wie war sonst der Liga-Neustart? Er habe viel gelernt, einiges an Lehrgeld zahlen müssen, sagt Walth, der auf eine erfolgreiche olympische Boxlaufbahn zurückblicken kann. Warum? Der Verwaltungsaufwand mit fristgerechten Anmeldungen, Schriftkram bei Startausweisen und dergleichen sei hoch, zu hoch. „Das frisst ganze Arbeitstage.“ Ein bisschen Bürokratieabbau täte dem Ligabetrieb gut.
Dann wäre auch mehr Zeit für das rein Sportliche. Um als Bundesligist etwa mit den Schwerinern mithalten zu können, werde er für die nächste Saison aussortieren. Kriterium: „Wer ist zuverlässig, wer hat Bock zu boxen.“ Das sei, wie ursprünglich geplant, allein mit Faustkämpfern aus Bayern nicht möglich. Die Leistungsdichte ist zu gering. Walth: „Deshalb schaue ich mich in anderen Landesverbänden nach Fightern um.“
Sich umschauen, das macht Jentsch gewissermaßen saisonal. Nach Klubs für die Liga. Der BC Marburg aus Hessen habe fest zugesagt, so der DBV-Funktionär. Aber der erhoffte Wiedereinstieg des BSK Hannover-Seelze bleibt nur eines: „Falschmeldung, Wunschdenken“, bekräftigt Vereinschef Arthur Mattheis telefonisch gegenüber BOXSPORT.
Immerhin, aus dem Liga-Quartett dürfte ein Quintett werden. Vor allem aber ist das Format Probebühne und Talentschuppen. „Für mich war die Bundesliga ein Riesen-Sprungbrett“, sagt der arrivierte 25-jährige Kahrimanovic, der in dieser Saison für seine Clinchpartner unschlagbar war. Das soll so bleiben. Dann kann der Traktorist nach weiteren siegreichen Play-offs das halbe Dutzend Meistertitel vollmachen. In Serie. Und mit Teamkollegen in der Ringmitte posen: fünf gespreizte Finger plus einen Daumen nach oben.
Text: Oliver Rast