Daniel Dubois – Kämpferblut

Auf seinem Weg nach oben hat Daniel Dubois bereits einige Rückschläge wegstecken müssen. Doch der 26-jährige IBF-Champion ist keiner fürs Aufgeben, sondern er strebt nach wahrer Ringgröße.

Im Januar sichert sich Daniel Dubois gegen Filip Hrgovic den IBF- Interims-Titel im Schwergewicht. (Foto: Getty Images)

Gong zur zehnten Runde. Das Auge von Daniel Dubois schwillt seit Mitte des Kampfes immer weiter zu. Nur noch ein kleiner Schlitz ist ihm zum Sehen geblieben. Sein Kontrahent ist kein Geringerer als der „Juggernaut“, der Zerstörer Joe Joyce. Er gilt als einer der härtesten Puncher der gegenwärtigen Schwergewichts-Ära. Dubois trifft ein weiterer steifer Jab auf sein lädiertes linkes Auge. Kaum hat die Runde begonnen, ist sie auch schon vorbei. Er nimmt ein Knie und lässt sich auszählen. Der 28. November 2020 markiert die bis dato bitterste Niederlage in der Karriere der jungen Schwergewichts-Hoffnung. Die Britische, Commonwealth- und Europa-Meisterschaft gewinnt an diesem Abend sein Gegner, der Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele in Rio 2016, Joe Joyce.

Für Daniel beginnen harte Monate. Trotz der ersten Niederlage in seinem 16. Fight war er keineswegs chancenlos. Er führte zum Zeitpunkt des Abbruchs auf zwei Punktzetteln, weshalb ihm viele Zuschauer, Boxfans im Internet, aber auch einige Experten sein Kämpferherz absprechen. Die Untersuchungen der Ärzte im Nachgang ergeben ein stimmiges Bild und zeigen, dass die junge Boxhoffnung Dubois überlegt, nachvollziehbar und vor allem karriereverlängernd entschieden hat. Eine Netzhauteinblutung sowie – schlimmer noch – eine zweifach gebrochene Augenhöhle stehen im Befund. Die Wahrscheinlichkeit, dass der damals erst 22-Jährige lebenslang schwere Sehbeeinträchtigungen hätte davontragen können, ist alles andere als unwesentlich.

Boxbegeisterte Familie

In der schweren Zeit nach seiner ersten Niederlage als Profi kann sich der schlagstarke Linksausleger auf eines verlassen: den Zusammenhalt und die Unterstützung seiner boxbegeisterten Großfamilie. Zum Boxen kam Daniel durch seinen Vater. Stan Dubois, auch Dave genannt, ist ein ehemaliger Straßenhändler, der mit afrikanischen Kunstartikeln auf den Marktplätzen in Großbritannien und den USA ein Millionenvermögen erwirtschaftet hat. Er zeugte elf Kinder mit zwei Frauen und entschied sich auf der Spitze seines Erfolgs, dem Händlergeschäft goodbye zu sagen. Daraufhin zog Dave seine elf Nachkommen überwiegend allein auf. Das imposante Familienoberhaupt ist überzeugt, dass alle seine Kinder eine Gabe empfangen haben und das Blut einer ganz besonderen Fighterin in ihren Adern fließt.

Mit einer K.o.-Quote von 95 Prozent gehört Daniel Dubois zu den gefährlichsten Boxern des Planeten (Foto: Getty Images / Richard Pelham)

Sylvia Dubois war eine afroamerikanische Sklavin, die sich im 18. Jahrhundert ihre Freiheit durch Bare-Knuckle-Fights sicherte. Ausgehend von dieser familiären, fast schon spirituellen Verbindung zum Boxsport beschließt der erfolgreiche Geschäftsmann, seine Söhne und Töchter zu Athleten ausbilden zu lassen. Neben Daniel sind auch dessen jüngeren Geschwister Prince, Solomon und Caroline vielversprechende und talentierte Boxer. Caroline trägt mit 23 Jahren bereits die Gürtel der IBO-Weltmeisterin und WBC-Interims-Championesse im Leichtgewicht und ist in zehn Kämpfen ungeschlagen. Unter den prüfenden Blicken ihres Vaters motivieren sich die Kinder gegenseitig und trainieren in jeder freien Minute auf dem eigenen Grundstück in Greenwich (London). Der junge Daniel weiß früh mit seiner unfassbaren Ausdauer und Zähigkeit zu begeistern. So schafft er es, in der Spitze ganze drei Stunden am Stück Liegestütze auf seinen Fäusten zu machen. Die Narben, die seitdem seine kräftigen Handrücken zieren, trägt er mit Stolz.

Schule als Ablenkung für Dubois

Obwohl Daniel in einem Problemviertel Londons aufgewachsen ist, gerät er im Gegensatz zu anderen Jugendlichen aus seiner Gegend nicht mit dem Gesetz in Konflikt. „Von der Straße habe ich nicht viel gesehen. Mit acht Jahren hat mich mein Vater in den Boxring gesteckt“, sagt der fast zwei Meter große Hüne über seine Jugend. Seitdem gab es für den talentierten Fighter aus dem Londoner Süden nur ein Thema: Boxen. „Ich war nicht wirklich gerne in der Schule. Für mich war die Schule nur eine Ablenkung von meinem Boxtraining“, gesteht Daniel. Bedingungslos konzentriert er sich auf seinen Traum, Profi und dann Weltmeister zu werden – und es trägt Früchte.

Bei den Amateuren wird er fünf Mal Junioren- sowie ein Mal Britischer Meister, schafft es sogar in den nationalen Kader. Mit gerade einmal 17 Jahren boxt Daniel gegen ältere, hoch angesehene Amateure wie Frazer Clarke und Joe Joyce, aber auch gegen gestandene Profis wie Derek Chisora und Anthony Joshua. In diesen Sparrings kann er sich nicht nur bewähren, sondern selbst gute Akzente setzen. Schnell machen Gerüchte die Runde, dass er Joshua im Training auf die Bretter geschickt hätte. Infolgedessen wird Top-Promoter Frank Warren auf den damals 19-Jährigen aufmerksam und nimmt ihn bei Queensberry Promotions unter Vertrag.

„Ich liebe es, Leute zu vermöbeln“

Als Profi macht „Dangerous“ Daniel Dubois schnell von sich reden, besiegt seine Gegner allesamt vorzeitig und kurzrundig. Sein langjähriger Trainer Martin Bowers, der nicht nur in seiner Zeit als Amateur, sondern auch in den ersten Jahren als Berufsboxer in Dubois’ Ecke stand, sagt über seinen höflichen, zurückhaltenden Schützling: „Wenn er am Kampftag den Ring betritt, wird er zu einem anderen Menschen. Er bekämpft jeden, der ihm vor die Fäuste kommt. Und es ist ihm egal, wer in der anderen Ecke steht. Würde seine Oma in der anderen Ecke stehen, würde er sie angreifen.“ Stille Wasser sind bekanntlich tief. „Wenn ich im Ring bin, dann um meinen Gegner zu verletzen. Ich liebe es, Leute zu vermöbeln“, bekennt der Mann mit der K.o.-Quote von 95 Prozent. Aktuell befindet sich Dubois auf Rang fünf der unabhängigen Schwergewichtsrangliste von BoxRec.

Nach gut einem halben Jahr Regenerationszeit kehrt „Dynamite“ nach dem Duell gegen Joyce zurück und zeigt eindrucksvoll, dass ihn weder der Verlust der perfekten Kampfbilanz noch die Verletzung am Auge in irgendeiner Weise haben weich werden lassen. In gewohnter Manier lässt Daniel seine explosiven Fäuste sprechen, siegt vorzeitig gegen solide Kontrahenten wie Bogdan Dinu und Joe Cusumano. Im Juni 2022 steht der Modellathlet dann im ersten Weltmeisterschaftskampf seiner Profikarriere. Den Inhaber des „regulären“ (und vernachlässigbaren) WBA-Titels Trevor Bryan aus den USA fertigt der Londoner innerhalb von vier Runden ab. Mit einem perfekt getimten linken Haken knockt er den Schützling von Promoter-Urgestein Don King aus.

Eindrucksvolle Comebacks

Im Kampf gegen Kevin Lerena (l.) im Dezember 2022 musste Dubois (r.) in Runde eins drei Mal zu Boden. Doch er kämpfte sich zurück – und beendete das Duell per T.K.o. in Durchgang drei. (Foto: Getty IMages / Warren Little)

Bei der darauffolgenden Titelverteidigung gegen Kevin Lerena geht Dubois in Runde eins gleich drei Mal zu Boden und steht am Rande einer Niederlage. Aber er zeigt auch den lautesten Kritikern sein Kämpferherz und besiegt seinen Gegenüber aus Südafrika in Runde drei durch Technischen K.o. 2023 folgt das Duell gegen Oleksandr Usyk, den aktuell besten Schwergewichtsboxer des Planeten. „Boxen ist meine Berufung, deshalb habe ich keine Angst davor, mich zu verletzen“, sagt Dubois. Mit diesem Mantra geht er stets in seine Kämpfe – und doch wird ihm nach beherzter Leistung wieder ein Jab zum Verhängnis. In der neunten Runde trifft Usyk seinen abgekämpften Rivalen. Wie schon gegen Joyce nimmt der Mann aus Greenwich ein Knie und lässt sich auszählen.

Ein weiteres Mal befindet sich „Dynamite“ auf dem Pfad der Wiedergutmachung und hat sich seit der Usyk-Niederlage 2023 eindrucksvoll zurückgeboxt. Dubois stoppte sowohl den bis dahin ungeschlagenen US-Amerikaner Jarrell Miller in der Zehnten als auch den hochgehandelten Filip Hrgovic in der Achten jeweils durch T.K.o. Für den Sieg über den Kroaten wurde der 26-Jährige von der IBF nachträglich vom Interims- zu vollwertigen Weltmeister hochgestuft, nachdem Usyk als eigentliche Nummer eins im Limit seine Titelverteidigungstermine nicht einhalten konnte. Wieder einmal trägt der Brite einen Titel, dessen Wert er selbst durch Leistung bestimmen muss. Wenn am 21. September im Wembley Stadium von London der Gong zur ersten Runde ertönt, hat Daniel Dubois die Chance, genau das zu tun. Mehr noch, er kann endlich die Gerüchte, die ihn seit Beginn seiner Profikarriere begleiten, ausräumen und Ex-Champion Anthony Joshua ausknocken. Das wäre ein wichtiger Schritt zu wahrer Größe und einem Vermächtnis im Schwergewicht.

Text von Julius Stoll