Im Vorjahr fehlten etliche Top-Athleten bei den nationalen Titelkämpfen. Wie sieht es nun bei den bevorstehenden Deutschen Meisterschaften der Männer und Frauen ab 20. November aus? BOXSPORT hat in die Meldelisten geschaut.
Die 101. Auflage der Deutschen Meisterschaften (DM) der Elite, Männer und Frauen, steht an. Vom 20. bis 23. November in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt. Veranstalter sind der Deutsche Boxsport-Verband (DBV) und der Boxverband Sachsen-Anhalt. Die Meldefrist endete am 28. Oktober. Detlef Jentsch hat die Liste zusammengestellt. 125 Athleten, 54 Athletinnen. „Eine Bestmarke bei den Frauen“, betont der DBV-Sportwart im Gespräch mit BOXSPORT. Aber: Im vergangenen Jahr habe die „erste Garde fast komplett gefehlt“, räumt Jentsch ein. Durchaus nachvollziehbar. Denn die Bundeskader waren bei internationalen Wettkämpfen am Start, etwa bei Qualifikationsturnieren für Olympia 2024 in Paris. Diesmal ist es anders, in der „SWH Arena“ in der Stadt des legendären Chemiepokals. Die Doppel-DM sei hochrangig besetzt, und für den ausrichtenden sachsen-anhaltinischen Landesverband habe die Titelmeisterschaft den größtmöglichen Stellenwert. „Das Highlight zum Jahresende“, betont deren Präsident Roland Wandelt.
Um die Kader-Plätze
Also, beinahe alles, was aktuell Rang und Namen im deutschen olympischen Boxen hat, nimmt teil. Muss dabei sein, damit ein Pöstchen auf dem Treppchen zum Sprungbrett wird. Schließlich gehe es um Kader-Plätze im neuen Olympia-Zyklus, um die Aufnahme in die Riege des Nationalteams, so Jentsch. Mehr noch, einzelne Athletinnen und Athleten orientieren bereits in Richtung Olympische Sommerspiele 2028 in Los Angeles (USA). Vorausgesetzt, Boxen bleibt olympisch. Ein paar prominente Namen indes fehlen. Maxi Klötzer, Stefanie von Berge oder Silvio Schierle. Die Gründe: Turnierpausen und verletzungsbedingte Absagen. Richtig ist auch, nicht alle, die wollen dürfen. Es gibt Zugangsvoraussetzungen, Teilnahmebedingungen für die DM: Bei Frauen mindestens fünf Kämpfe, bei Männern mindestens 15 Siege. In begründeten Fällen sind Ausnahmen möglich.
Apropos Ausnahmen: Werden nicht zu viele Boxerinnen und Boxer zu früh mit zu wenigen Fights zu Meisterschaften geschickt? Stefan Köber, DBV-Bundesstützpunktleiter in Frankfurt/Oder, bemerkt gegenüber BOXSPORT: „Ob die Anzahl der Kämpfe und Siege immer ausreichend ist, hängt von der Einschätzung der Trainer und Landesverbände ab – und nicht zuletzt von den Fähigkeiten der Sportlerin oder des Sportlers.“ Selbstredend gebe es am Ende teilweise große Unterschiede. Dennoch, nicht wenige hätten sich gut geschlagen und teils sogar gegen Erfahrenere gewonnen. „Ringerfahrung muss eben auch gesammelt werden, denn Boxen lernt man nur durch Boxen.“
Chance zur Revanche bei den Meisterschaften
Eine, die auf ihr Elite-Debüt brennt, ist Sara Gläser. Die 19-jährige Superschwere (+81 kg) vom Boxclub Görzig Fuhneland aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Bereits Mitte Oktober hatte die Nachwuchskader-Athletin bei der U22-DM im brandenburgischen Eisenhüttenstadt den Finalkampf bestritten, unterlag aber gegen Ilvy Scheibe einstimmig nach Punkten. Eine wichtige Lehrstunde für Gläser und Trainer Mathias Bader. Unterkriegen lasse sie sich davon nicht, sagt Gläser. Im Gegenteil. Sie wisse nun, „selbst in der U22 stehen mir gestandene Frauen im Ring gegenüber“. Das sei ein ganz anderes Boxen als im Juniorenbereich. In Halle/Saale wird Gläser die Chance zur Revanche gegen Scheibe haben. Allerdings eine Gewichtsklasse tiefer bis 75 Kilogramm. Ferner im Klassement: Irina Schönberger, die arrivierte dreimalige DM-Titelträgerin. Klar, die beiden Konkurrentinnen seien ungleich erfahrener, weiß Gläser. „Doch ich habe den Willen zu siegen.“ Dafür habe sie in der Vorbereitung auf vieles verzichtet und noch „mehr geackert“.
Einer der Hochkaräter bei der DM wird Superschwergewichtler Nikita Putilov (+92 kg) sein. Der Leipziger setzt auf „kräftigen Support von Freunden und Bekannten“, die nur eine kurze Anreise in die Saalestadt haben werden. Das Ziel? „Ich strebe immer an, Erster zu sein, Gold zu holen, egal bei welchem Wettkampf“, sagt der 21-jährige Putilov im Plausch mit BOXSPORT. Und alles andere als der Titelgewinn nach seinem ersten DM-Triumph 2022 wäre für den Doppel-Europameister und mehrfachen Worldcup-Sieger eine herbe Enttäuschung. Zumal einer seiner größten Kontrahenten nach Olympia-Bronze ins Profi-Lager gewechselt ist: Nelvie Tiafack. Nur, welchen Stellenwert hat die DM für einen wie Putilov, einen, der hoch hinaus will, ganz hoch? Es stimme wohl, im Vergleich zu internationalen Top-Turnieren sei ein nationales Meisterturnier „eher zweitklassig“. Erst ein Kräftemessen mit den Besten in Europa und der Welt „ist ein echter Gradmesser“.
„Hinken hinterher”
Das sieht der Berliner Melvin Kahrimanovic ähnlich. Der zweimalige Deutsche Meister im Schwergewicht (bis 92 kg) – jahrelang im Bundesliga-Dress vom BC Traktor Schwerin im Seilquadrat – erklärt: Um in den USA oder England Titelträger zu werden, „musst du gefühlt neun, zehn oder mehr Fights siegreich absolvieren“. Hierzulande reichen zumeist zwei, drei. Ein Trend fällt Kahrimanovic aber auf: Die Leistungsdichte nehme in Deutschland zu, besonders bei höheren Limits. Das ändert nur noch nichts am Befund. „Wir hinken den Landesmeistern der großen Boxnationen weiterhin oftmals hinterher.“ Und die DM, macht er mit? Nein. „Mir fehlt für das olympische Boxen ehrlich gesagt die Motivation.“ Einen neuen Reiz habe er gesucht. Und gefunden: Wechsel in den professionellen Boxzirkus – wie Tiafack.
Trotz des schmerzlichen Abgangs des neuen Profi-Duos, die Deutschen Meisterschaften der Männer und Frauen sind dem DBV zufolge „eines der größten und prestigeträchtigsten Sportevents Deutschlands“.
Text von Oliver Rast