Kay Huste: „Komplette Reform der Kampfdauer“

Gleiche Regeln wie bei den Männern und bessere Bezahlung fordern internationale Superstars wie Amanda Serrano, Chantelle Cameron oder Seniesa Estrada. Im Boxsport-Interview verrät Kay Huste, Trainer von P2M-Boxerin Nina Meinke, wie er zu der Bewegung „Our Choice“ steht und was sich für Boxerinnen mit längerer Kampfdauer ändert.

Seit mehr als sechs Jahren trainiert Kay Huste die Federgewichtlerin Nina Meinke. (Foto: IMAGO / Torsten Helmke)

Hallo Kay, die Boxwelt der Frauen ist im Wandel. Zahlreiche Stars des internationalen Frauenboxens haben sich zusammengeschlossen und fordern in ihrer Erklärung „Our Choice“ gleiches Recht und Bedingungen wie ihre männlichen Kollegen. Wie stehst du grundsätzlich dazu?

Kay Huste: Grundsätzlich finde ich den Ansatz positiv. Die Rundenzeit von zwei Minuten hindern das Frauenboxen eher an der Weiterentwicklung, als das sie förderlich sind. Eine Minute macht im Boxen viel aus. Der Kampf wird entschleunigt, wodurch die Attraktivität steigt. Bei längerer Rundenzeit gibt keine reinen Box-Schlachten mehr, sondern es wird mehr Auge auf die technisch-taktische Komponente gelegt. Oft retten sich unterlegene Boxerin gerade so in die Pause, das würde abnehmen. Ich bin ein großer Fan von drei Minuten Rundenlänge.

Fallen aufgrund der längeren Kampfdauer konditionelle Defizite stärker ins Gewicht und führen zu mehr Knockouts?

Es müssen nicht zwingend Knockouts sein, aber Anzahl der abgebrochenen Kämpfe würde sicherlich steigen. Meistens ist es garnicht die Schlaghärte, sondern die Anzahl der Schläge, die man nicht mehr verkraften kann. Irgendwann ist die Kondition bei jedem nunmal am Ende. Manche Boxer knien auch einfach mal ab, um eine kurze Pause zu bekommen.

Welcher Typ Boxerin profitiert bei einem längeren Kampf am meisten?

Die technisch besser ausgebildeten Boxerinnen profitieren, da sie den Kampf viel besser kontrollieren können. Viele knallen die zwei Minuten einfach nur durch – Kopf runter und Feuer frei. Das schaffen die dann nicht mehr. In drei Minuten hast du einfach viel mehr Zeit deine Klasse auszuspielen. In zahlreichen Gewichtsklassen stehen aktuell Südamerikanerinnen mit diesem offenen Kampfstil oben. Umso bemerkenswerter ist es, dass genau die für eine Regeländerung sind.

Aus Sicht des Trainers: Was verändert sich dadurch bei der Vorbereitung?

Frauen müssen derzeit viel intensiver – kurzes Spurt und Intervalltraining – trainieren, weil das Tempo durch die kurze Rundenzeit sehr hoch ist. Insbesondere im internationalen Bereich trainieren Frauen schon wie die Männer und stellen ihren Rhythmus erst in den letzten Zügen der Vorbereitung auf zwei Minuten Rundenzeit um. Von daher ändern sich nur in der direkten Kampfvorbereitung ein paar Dinge. Für den generellen Trainingsprozess ergeben sich einige Vorteile, weil sich das Training von Frauen und Männern noch weiter angleichen würde.

Du coachst bereits seit einigen Jahren erfolgreich Nina Meinke. Wie würde sich bei ihr eine Umstellung auf 12×3 Minuten Kampfdauer auswirken – eher zum Vorteil oder zum Nachteil?

Unsere Boxphilosophie, die Nina nun auch verinnerlicht hat, heißt Zerstörung. Nicht die Zerstörung mit den Fäusten, sondern eher eine mentale Zerstörung des Gegners. Dazu gehört erstmal viel Druck, aber auch wieder loslassen und fintieren. Zwischen den Aktionen immer in Bewegung sein, um den Gegenüber zu stressen. Wie die Fliege auf deiner Nase am Morgen. Du wischst, die fliegt weg, aber im nächsten Moment sitzt sie wieder dar. Boxerisch zermürben und hinten raus die klaren Treffer setzten. Eine Kampflänge von 12×3 Minuten ist für Nina auf jeden Fall ein Vorteil.

Nina wird gegen Amanda Serrano boxen. Die hat im ersten Frauenkampf über 12×3 Minuten gegen Danila Ramos überzeugt. Welche Erkenntnisse konntet Ihr aus diesem Kampf ziehen?

Meine größten Erkenntnisse konnte ich bisher aus dem Kampf von Serrano gegen Katie Taylor ziehen. Der Fight war deshalb so lehrreich, weil er immer wieder von der einen auf die andere Seite gekippt ist. Man konnte sehen, mit welchen Mitteln Taylor gut gegen Serrano ausgesehen hat, aber auch welche nicht geholfen haben. Boxerinnen aus Süd- oder Mittelamerika brauchen immer ein Ziel zum schlagen. Steht ihr ein ‚salopp gesagt‘ Sandsack gegenüber, ist sie immer stark. Wenn man Serrano mal kein Ziel bietet, sie ins Leere schlagen lässt, kontert und weggeht, wird sie nervös. Da kommen auch schonmal die Emotionen richtig raus und dann ist Serrano verwundbar. Ramos hat den Schlagabtausch zu sehr angenommen. Eigentlich fand ich die Brasilianerin gar nicht schlecht, aber eine Serrano schlägst du nur mit absolutem Pragmatismus.

Wenn Meinke am 2. März in einem WM-Kampf auf Amanda Serrano trifft, wird Kay Huste natürlich in ihrer Ecke stehen. (Foto: IMAGO / Lobeca)

Bei der Erklärung „Our Choice“ geht es zudem auch um die gleichgestellte Bezahlung im Frauenboxen. Welche Chancen siehst du dafür?

Das ist ein ganz schwieriges Thema. Nicht nur Boxerinnen sondern auch die Trainer, selbst in der Weltspitze, sind die Gearschten. Ein Trainer bekommt zwischen 5 und 15 Prozent der Kampfbörse. Frauen verdienen meist weniger als ein Zehntel der Männer, bei vergleichbaren Kämpfen. Ich bin nicht der Meinung, dass wir genauso viel verdienen müssen wie die Männer. Natürlich ist Männerboxen durch die Masse an Zuschauern und durch das große Spektakel finanziell rentabler. Dennoch sollten die Kampfbörsen der Frauen mal mindestens 30 bis 40 Prozent so groß wie die der Männer sein.

Wie haben sich die Börsen bei den Frauen in den vergangenen Jahren entwickelt? Gibt es Schritte in Richtung gleiche Bezahlung?

In England und den USA gibt es diese Entwicklung. Der Wille bei den Beteiligten ist ach hierzulande da, leider haben die großen Fernsehsender Boxen aus dem Programm genommen. Eddie Hearn kann seine Damen so gut bezahlen, weil er einen riesigen Vertrag mit DAZN abgeschlossen hat. Wir in Deutschland brauchen Box-Übertragungen in der ARD, bei RTL oder auch beim Streaming-Dienst DAZN, um auch auf diesen Weg zu kommen. Von dem aktuellen Gehalt können weder Nina noch ich leben. Die Aussage ‚in Deutschland gibt es keine Weltspitze im Boxen‘ ist falsch, nur findest du sie aktuell nicht im Männer- sondern im Frauenboxen bei einer Sarah Bormann oder einer Nina Meinke. Wir können mit den US-Amerikanerinnen mithalten. Allerdings sind die in den Staaten Stars und von unseren Top-Boxerinnen hört man fast nichts.

Mehr Geld gibt es im Boxen nur durch Präsenz im TV/Pay-per-view. Anbieter springen aber nur auf den Zug auf, wenn das Angebot so attraktiv ist, dass es refinanzierbar ist. Machen Fights über die Männer-Distanz das Frauenboxen attraktiver?

Ja klar. Das ist sicherlich auch einer der Hauptgründe für diese Bewegung. Für den Zuschauer ist das genauso sinnvoll. Es gibt ein klares Regelwerk und er will einen Kampf zwischen Serrano und Meinke sicherlich auch lieber über 12×3 als über 10×2 Minuten sehen. Es gibt die Verkürzung der Kampfdauer nur, um die Frauen vor Verletzungen zu schützen. Da stellt sich mir die Frage: Wenn wollen wir den schützen? In höheren Gewichtsklassen fliegen ohnehin ganz andere Fäuste, als bei Nina im Limit. Das ist für mich nicht logisch und daher bin ich für eine komplette Reform der Kampfdauer. Vielleicht einen normalen Kampf auf 8×3 Minuten beschränken und einen WM-Kampf auf 10×3 Minuten. Das würde nicht nur bei den Frauen generell mehr Attraktivität schaffen, weil alle Kämpfe viel knapper werden. Außerdem würde man so Verletzungen vorbeugen.

Interview: Robin Josten