Culcay vs. Murtazaliev: Ring-Intelligenz trifft Offensiv-Power

Im Halbmittelgewicht werden die Karten neu gemischt. So kämpfen am 6. April in Berlin die seit Jahren auf ihre Chance wartenden Bakhram Murtazaliev und Jack Culcay um den IBF-Titel. BOXSPORT checkt das Duell.

Jack Culcay (l.) ist ein Techniker im Ring, kann aber auch vorzeitig finishen – wie hier beim K.o. gegen Juan Adrian Monzon (2. Runde). (Foto: Getty Images / Christof Koepsel)

Anfang des Jahres gelang AGON Sports ein echter Coup. Im Bieterverfahren um die Austragungsrechte für den IBF-Titelkampf im Halbmittelgewicht zwischen Bakhram Murtazaliev und Jack Culcay stach der Berliner Stall den US-Rivalen „Main Events“ aus. Somit hat Culcay, die Nummer zwei der Rangliste, Heimspiel gegen Nummer-eins-Contender Murtazaliev – das Duell findet in der Stadthalle Falkensee bei Berlin statt. Heimvorteil hin oder her: Gegen den schlagstarken und sieben Jahre jüngeren Murtazaliev muss Culcay an die Top-Leistungen vergangener Jahre anknüpfen, um sich den Traum von einem zweiten WM-Triumph im Spätherbst seiner Karriere zu erfüllen. Was erwartet die Boxwelt am 6. April in Falkensee? BOXSPORT unterzieht die Kontrahenten einem Check.

Erfahrung

Culcay legte einst eine glänzende Amateur-Karriere hin, die er 2009 mit dem Gewinn der Weltmeisterschaft vergoldete. Auch als Preisboxer hat der 38-Jährige viel Erfahrung gesammelt und fast 300 Runden auf dem Buckel, wenn er im April zum 38. Mal in den Ring steigt. Mit Demetrius Andrade (2016) und Sergiy Derevyanchenko (2019 im Mittelgewicht) finden sich zwei Top-Leute in der Kampfbilanz des Deutschen. Zudem stand „Golden Jack“ mit Klasseboxern wie Maciej Sulecki und Abass Baraou im Seilgeviert, hat zudem bei seinen Amerika-Abenteuern auch auf fremdem Terrain überzeugt. Dass vier „Niederlagen“ in seinem faustischen Lebenslauf stehen, ist auch auf einige fragwürdige Punkturteile zurückzuführen.

Murtazaliev hat in seinen fast zehn Jahren als Profi erst 21 Kämpfe bestritten, 2023 stand er nicht ein einziges Mal im Ring. Der Normalausleger hat anders als Culcay noch keinen Gegner von Rang und Namen geboxt, ist im Halbmittel trotz seiner makellosen Bilanz ein unbeschriebenes Blatt. Der Punkt Erfahrung geht ganz klar an den AGON-Profi.

Kampfstil

Murtazaliev ist ein klassischer Offensiv-Boxer, der seine zumeist kleineren Gegner in den Rückwärtsgang drängt, ihnen den Weg abschneidet, sie an den Seilen stellt, um dort mit schweren Händen Schaden anzurichten. Seine beste Waffe ist die rechte Schlaghand, die er in einigen Fights auch als Konterhaken sehenswert einsetzte. In seinem Offensivdrang legt der Russe bisweilen zu viel Dampf in seine Aktionen, holt wild aus, „schmeißt“ regelrecht mit Schlägen. Unter diesem ungehobelten Boxen leidet Murtazalievs Balance, was ihn anfällig macht für Konterattacken. Defensiv wurde der Mann aus Tschetschenien von seinen meist haushoch unterlegenen Gegnern bisher kaum gefordert.

Auch Culcay boxt am liebsten kontrolliert offensiv, beherrscht im Vergleich zu Murtazaliev aber deutlich mehr Facetten des Faustkampfes. Der 1,74 Meter große Routinier schlägt einen schnellen und scharfen Jab, mit dem er die Distanz zu seinen oft größeren Rivalen rasch überbrückt. Culcays vielleicht bester Schlag ist der linke Haken, den er nicht nur als Power Punch einsetzt, sondern auch als verkappte Führhand, um ein Duell zu diktieren. Culcay besticht durch hohe Ring-Intelligenz und ein gutes Auge, das die Stärken des Gegners schnell „liest“. Er fühlt sich im Infight und der Halbdistanz wohl, scheut dabei den offenen Schlagabtausch nicht. Defensiv vertraut Culcay meist einer Doppeldeckung, in den USA packte er auch schon mal die einst von Floyd Mayweather zur Perfektion getriebene „Shoulder-Roll-Defense“ aus.

Ausdauer

Der Berliner ist ein Musterprofi, der stets top vorbereitet ins Seilgeviert klettert und in seiner Karriere schon 13 Mal die volle Distanz von zwölf Runden absolviert hat. Gegen Andrade, Sulecki oder Baraou zeigte er in den hinteren Runden zwar „normale“ Ermüdungserscheinungen, ging aber trotzdem bis zum Schlussgong hohes Tempo und viel Risiko.

Hinter der Kondition Murtazalievs steht ein Fragezeichen. Nur ein einziges Mal kämpfte er zwölf Runden durch, ein Mal feierte der Schützling von Manager Egis Klimas einen Zehn-Runden-Punktsieg. Culcay ist zwar sicher: „Er hat Ausdauer für zwölf Runden.“ Aber: Dass Murtazaliev gegen einen Top-Mann bis zum Ende Vollgas geben kann – diesen Beweis muss er im Ring von Falkensee erst erbringen.

Taktik

Murtazaliev wird zweifellos versuchen, seine Größen- und Reichweitenvorteile auszuspielen und Culcay mit der harten Rechten früh zu beeindrucken. Der Lokalmatador selbst geht davon aus, dass Murtazaliev „mich jagen wird und ich mich viel bewegen muss“. Culcay macht aus seinem „Game Plan“ keinen Hehl: „Ich muss schnell sein, präzise sein, immer wieder rein und raus und mich nicht treffen lassen.“ Außerdem hat der AGON-Fighter vor, gegen den 13 Zentimeter größeren Murtazaliev die alte Boxweisheit „Zerstöre den Körper und der Kopf wird folgen“ zu beherzigen. „Man weiß, dass man bei größeren Gegnern von unten anfangen soll. Wir üben, zum Körper zu treffen, dann zum Kopf und zu meiden“, ließ Culcay wissen.

Culcay vs. Murtazaliev – Fazit

Für Bakhram Murtazaliev sprechen das Alter, eine K.o.-Quote von 71 Prozent und das Selbstbewusstsein des bislang unangetasteten Gewinners. Ansonsten hängen über dem Russen jede Menge Fragezeichen. Ob er die Klasse hat, gegen einen arrivierten Top-Mann wie Culcay zu bestehen, wird sich am 6. April zeigen. Jack Culcay ist der erfahrenere und technisch bessere Boxer. Ist Golden Jack nicht über Nacht gealtert und schafft er es, in den ersten Runden seine boxerische Linie zu etablieren, sollte er die IBF-WM vor heimischer Kulisse einstimmig nach Punkten gewinnen.

Text von Martin Armbruster