Olympia 1996 – Letzte Medaillenjagd

Gold gab es nicht, aber eine Silber- und drei Bronzemedaillen – Olympia 1996 wurde zum letzten großen sportlichen Highlight für die deutsche Auswahl. BOXSPORT erinnert sich gemeinsam mit den Protagonisten an das ereignisreiche Box-Turnier von Atlanta.

Oktay Urkal enttäuscht nach seiner Olympia-Finalniederlage gegen Hector Vinent. Rechts die Bundestrainer Helmut Ranze und Ulli Wegner (mit Handtuch). (Foto: IMAGO / Sven Simon)

Insgesamt 355 Athleten aus 97 Nationen traten beim olympischen Box-Turnier 1996 in Atlanta (USA) an. Darunter auch sieben Deutsche: Falk Huste, Luan Krasniqi, Zoltan Lunka, Rene Monse, Sven Ottke, Thomas Ulrich und Oktay Urkal. Eine Silber- sowie drei Bronzemedaillen brachten die „glorreichen Sieben“ unter der Regie der Bundestrainer Helmut Ranze, Ulli Wegner und Valentin Silaghi mit nach Hause – es war bis heute die letzte große Ausbeute für Box-Deutschland bei Olympischen Spielen. Die Medaillen-Helden von Atlanta erinnern sich noch gut an das aus deutscher Sicht erfolgreiche, aber teils auch denkwürdige Olympia-Kapitel.

Oktay Urkal marschierte am 4. August 1996 als letzter DBV-Boxer neben Trainer Ulli Wegner zum Seilgeviert des bis auf den letzten Platz besetzten „Alexander Memorial Coloseum“ in der US-Metropole. „,Olympisches Finale – ist das Wirklichkeit oder träume ich‘, fragte ich mich immer wieder beim Gang in Richtung Ring“, erzählt der heute 54-jährige Urkal. Im Finale stand der Boxer aus Berlin-Kreuzberg im Halbweltergewicht keinem Geringerem gegenüber als Hector Vinent aus Kuba, seines Zeichens Olympiasieger von 1992. „Vinent war ein Edelboxer“, berichtet Urkal im Gespräch mit BOXSPORT. „Wenn er in den Ring stieg, verließ er ihn meist wieder als Sieger.“ Einmal allerdings nicht im Duell mit Oktay Urkal. „Das war beim Weltcup 1994 in Bangkok, da habe ich gewonnen“, erzählt der Berliner stolz. Und fügt an: „Ich bin Gott für meine Erfolge im Boxen dankbar – und dass ich bei Ulli Wegner trainieren durfte.“

„Kannst du Boxen?“

Urkal und Wegner, das war eine wunderbare Wendegeschichte. „Die Mauer war noch nicht einmal richtig gefallen, da habe ich im Dezember 1989 Herrn Wegner in Ostberlin besucht, um bei ihm zu trainieren“, erinnert sich der dreifache Deutsche Meister im Halbwelter, der heute mit seiner Familie in Hamburg und lebt und als Dispatcher bei einem Taxi-Unternehmen arbeitet. „,Kannst du überhaupt boxen?’, habe ich Oktay damals gefragt“, erzählt Ulli Wegner im Gespräch mit BOXSPORT. „Der Junge war überzeugt, dass er bei uns im Osten ein großer Boxer wird.“ Tatsächlich wurden Urkal und Wegner „ein Erfolgsgespann, wie Olympiasilber, zwei Weltcupsiege sowie EM- und WM-Medaillen beweisen“, betont der Trainer. Urkal ist bis heute der letzte deutsche Boxer, der ein Olympia-Finale erreichen konnte. Auf seinem Weg dorthin hatte der amtierende Europameister Reynaldo Galido (Philippinen; Vorrunde), David Diaz (Achtelfinale; USA), Nordine Mouchi (VF; Frankreich) und Fathi Missaoui (HF; Tunesien) ausgeschaltet.

Den ersten deutschen Medaillengewinn im Boxring von Atlanta hatte Fliegengewichtler Zoltan Lunka unter Dach und Fach gebracht. Unvergessen, wie sich der aus dem rumänischen Siebenbürgen stammende Athlet nach dem Gewinn der Bronzemedaille noch am Ring artig bei seinem Trainer Valentin Silaghi bedankte: „Herr Silaghi, danke für Ihre Mühen, dass Sie mich für das große Erlebnis Olympia fit gemacht und mich zum Gewinn einer Bronzemedaille befähigt haben.“ Lunka setzte sich in Atlanta zunächst gegen den Mexikaner Jesus Martin Castillo (Vorrunde) sowie Hermensen Ballo aus Indonesien (Achtelfinale) durch. Im Viertelfinale besiegte der amtierende Weltmeister den Algerier Mehdi Assous mit 19:6, unterlag dann aber im Halbfinale gegen den Kasachen Bulat Jumadilov mit 18:23. Nach den Spielen von Atlanta wechselte Lunka, der für den KSV Schriesheim boxte, zu den Profis. Für den Universum-Stall bestritt der Fliegengewichtler 23 Kämpfe, von denen er 21 gewann. Heute lebt der leidenschaftliche Trainer Zoltan Lunka wie Urkal in Hamburg.

Ulrich ein Top-Talent

Zu den deutschen Hoffnungsträgern für die Spiele 1996 gehörte auch der Berliner Halbschwergewichtler Thomas Ulrich. Der Ausnahmeboxer hatte das „Fechten mit den Fäusten“ wortwörtlich verinnerlicht. Bei seinem Trainer Ulli Wegner feilte Ulrich weiter an seiner gut entwickelten Technik. Nach WM-Bronze 1995 gehörte der Spandauer schließlich auch im olympischen Ring von Atlanta zu den deutschen Boxern, die aufs Siegerpodest steigen durften. Wegner kommt ins Schwärmen, wenn er von Ulrich spricht: „Thomas war einer der größten Talente, die ich trainieren durfte. Er war unheimlich vielseitig.“

So habe dieser ihn zum Beispiel beim Hochsprung überrascht, als er eine Höhe von 1,87 Metern übersprang. „Einfach so aus dem Nichts“, staunt Wegner heute noch. „Thomas hat ein besonders Wesen. Wenn man in seine Seele vorgedrungen war, konnte man wunderbar mit ihm trainieren.“ Ulrich landete gegen den Schweden Ismael Kone im Achtelfinale mit 24:9 und im Viertelfinale gegen den Brasilianer Daniel Bispo mit 14:7 klare Siege. „Im Halbfinale war Thomas gegen den Südkoreaner Seung-Bae Lee klar der bessere Boxer“, erinnert sich der frühere Bundestrainer. Ulrich habe Lee schon vor den Spielen bei der Militär-Weltmeisterschaft klar bezwungen. „Für mich funkelt die Olympia-Bronzemedaille von Ulrich noch heute mit einem goldenen Rand.“

Mit Bronze im Gepäck düste der Halbschwergewichtler zurück in seine Heimatstadt Berlin, wo er heute noch lebt. Nach seiner Amateurkarriere wechselte Ulrich nach Hamburg zum Stall von Klaus-Peter Kohl, gewann als Profi 32 seiner 39 Kämpfe. 2009 beendete der heute 47-jährige Ulrich seine Laufbahn, um im medizinischen Bereich zu arbeiten.

Krasniqi erobert Olympia-Bronze

Luan Krasniqi (r.) und Kubas dreifacher Olympiasieger Felix Savon (l.) bei der Siegerehrung im Schwergewicht. (Foto: IMAGO / Sven Simon)

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Vierter im Bunde der deutschen Medaillen-Helden wurde Schwergewichtler Luan Krasniqi, der bei den Spielen 1996 Bronze eroberte. „Atlanta war ein riesiges Erlebnis für mich. Durch die gesamte Atmosphäre in der Stadt wurde mir bewusst: Es gibt im Sport nichts Größeres als Olympische Spiele“, erzählt Krasniqi im BOXSPORT-Gespräch. „Wenn du dann noch mit einer Medaille die Heimreise antreten kannst, ist das Glück vollständig.“ Ein Auftritt gegen den dreimaligen kubanischen Olympiasieger Felix Savon im Halbfinale blieb dem Europameister von 1996 jedoch versagt. „Ich hatte mir bei meinem Sieg gegen den Weißrussen Sergey Dychkov eine Augenbrauenverletzung zugezogen und bekam vom Arzt Startverbot.“ So fiel sein Kampf gegen den späteren Olympiasieger ins Wasser. Von seiner Heimatstadt Rottweil zog Krasniqi mit seiner Familie nach Hamburg. Dort hält der einstige Olympia-Teilnehmer und spätere Profi die Verbindung zum Boxen aufrecht, indem „ich selbst zwei bis drei Mal in der Woche zum Training gehe“.

Fragwürdige Urteile bei Olympia 96

Beim Blick zurück nach Olympia ’96 kommt bei Ulli Wegner jedoch nicht nur Freude auf. „Falk Huste hat zum Beispiel große Kämpfe geliefert“, berichtet die Trainerlegende. „Im Viertelfinale der Spiele musste der Federgewichtler jedoch dem Bulgaren Serafim Todorov den Vortritt lassen. „Dabei ist Falk echt unterbewertet worden“, ärgert sich Wegner heute noch. Neben Falk Huste schlossen auch die beiden schon verstorbenen Auswahlboxer Markus Beyer († 2018) und Rene Monse († 2017) das olympische Turnier von Atlanta mit fragwürdigen Urteilen ab und landeten auf fünften Plätzen. Superschwergewichtler Monse, WM-Dritter von 1995, unterlag im Olympia-Viertelfinale dem Russen Alexey Lezin (5:9), und Beyer, ebenfalls bei der WM 1995 mit Bronze geehrt, scheiterte in Atlanta im Viertelfinale am Kasachen Ermakhan Ibraimov (9:19).

Pech hatte auch Wegner-Liebling Sven Ottke: Der Berliner traf im Achtelfinale auf den überragenden Ariel Hernandez und verlor mit 0:5 gegen den späteren Sieger im Mittelgewicht. Schon bei den Spielen 1992 in Barcelona hatte Ottke gegen seinen Dauerrivalen aus Kuba die Segel streichen müssen. Am Ende erreichte die DBV-Auswahl mit ein Mal Silber und drei Mal Bronze Platz zehn im Medaillenspiegel – so erfolgreich waren Deutschlands Boxer seither nie wieder bei Olympia.

Text von Manfred Hönel