In Teil vier der Serie über deutsche Olympia-Highlights schaut BOXSPORT zurück bis in die 1930er-Jahre – und stellt jene Sieger vor, über die in Rückblicken meist seltener berichtet wird.
Die Geschichte des Boxens im Zeichen der Ringe geht fast bis zum Beginn der Olympischen Spiele der Neuzeit zurück. Zum ersten Mal ließen bei den Olympischen Spielen 1904 in St. Louis (USA) Boxer die Fäuste fliegen. Gleich gab es ein Novum. Der Amerikaner Oliver Kirk gewann im Fliegen- (-52,16 kg) und im Bantamgewicht (-56,70 kg) die Goldmedaillen.
Erster deutscher Boxer, der bei Olympia Edelmetall gewinnen konnte, war Ernst Pistulla. In Amsterdam holte er 1928 die Silbermedaille im Halbschwergewicht. Pistulla wurde 1906 in Goslar geboren. Als Profi gewann er einen Europameistertitel. Nach Rechercheergebnissen starb Pistulla am 3. März 1945 in der Haftanstalt Berlin-Moabit an progressiver Paralyse. Bei den Olympischen Spielen 1932 in Los Angeles schafften es mit Hans Zigalski (Bantam), Josef Schleinkofer (Feder) und Erich Camp (Welter) gleich drei Deutsche zu Olympia-Silber. Der Münchner Schleinkofer wanderte als Profi nach Südamerika aus. Zigalski († 1975) und Camp († 1977) lebten bis zu ihrem Tode in Berlin.
Kaiser holt erstes Olympia-Gold
Die Olympischen Spiele 1936 in Berlin waren dann Schauplatz des ersten großen Goldauftritts eines deutschen Boxers, Fliegengewichtler Willy Kaiser. Kaiser wurde 1913 in Pudewitz, im heutigen Polen geboren, kam aber mit seinen Eltern bereits 1914 nach Gladbeck. Dort wuchs der drahtige Junge auf und war als Handballspieler bei den Sportfreunden Gladbeck eine gerngesehene Verstärkung. Mit 17 Jahren wechselte er als junger gelernter Polsterer zu den Boxern. Um besser trainieren zu können, arbeitete Kaiser in der Stadtverwaltung als Bürobote. Es hat sich gelohnt. In der Berliner Deutschland-Halle besiegte er im Finale den Italiener Gavino Matta nach Punkten und holte damit die erste Goldmedaille für Deutschlands Boxer bei Olympischen Spielen. Nur drei Jahre später begann der Zweite Weltkrieg und Kaiser musste 1943 an die Ostfront. 1949 kehrte er aus sowjetischer Gefangenschaft zurück und arbeitete dann bis 1953 als Boxtrainer in Gladbeck. 1986 verstarb Kaiser in seiner Heimatstadt.
Zum großen Schlag hatte in der an jenem 15. August 1936 mit 16.000 Zuschauern voll besetzten Deutschland-Halle auch Herbert Runge ausgeholt. Der Schwergewichtler, der mit sieben Geschwistern in Wuppertal-Elberfeld lebte, besiegte im Finale den Argentinier Guillermo Jose Lovell. Mit dem Boxen hatte er ursprünglich nur angefangen, weil er von seinem älteren Bruder immer wieder bei Privatduellen verprügelt wurde. Von 500 Ringauftritten gewann der 1,92 Meter große Schlaks 487 Kämpfe. Nach dem Krieg versuchte sich Runge als Profi, wenngleich mit überschaubarem Erfolg. Zwischen 1946 und 1949 bestritt er 25 Kämpfe, von denen er nur fünf gewinnen konnte. Danach betrieb der Olympia-Held zunächst eine Gastwirtschaft, ehe er wieder in seinen Beruf als Fleischer zurückkehrte. Runge starb 1986 in Wuppertal.
Silbermedaillen im Weltergewicht
Neben den beiden Gold-Boxern gewannen der Halbschwere Richard Vogt und Michael Murach im Weltergewicht die Silbermedaille. Während Murach, der Boxer von Schalke 04, genau fünf Jahre und einen Tag nach seinem Olympiasieg am 16. August 1941 bei Smolensk als Oberkanonier fiel, überlebte Vogt den Krieg. Der Hamburger trat am 31. Oktober 1946 in Berlin als letzter Gegner überhaupt gegen Max Schmeling über zehn Runden an. Vogt gewann beim Kampf des damals 43-jährigen Schmeling nach Punkten. Der Breslauer Josef Miner fügte 1936 im Federgewicht der Gesamtbilanz von fünf Medaillen eine aus Bronze hinzu. Miner fiel 1944 im Zweiten Weltkrieg bei Husi in Rumänien.
Als zumindest die westdeutschen Athleten 1952 wieder bei den Olympischen Spielen in Helsinki starten durften, boxte sich der nur 1,59 Meter große Mannheimer Fliegengewichtler Edgar Basel in Finnland bis in Finale, musste sich dort aber dem US-Amerikaner Nathan Brooks geschlagen und mit Silber zufriedengeben. 1956 kletterte Basel in Melbourne noch einmal in den Ring, zog aber gegen den Russen Vladimir Stolnikow den Kürzeren. Basel starb bereits mit 47 Jahren an einem Herzinfarkt.
Behrendt wird DDR-Idol
Im Gegensatz dazu erreichte Leichtgewichtler Harry Kurschat aus Berlin-Kreuzberg das 92. Lebensjahr. Der damalige Westberliner kämpfte sich bei den Spielen 1956 in Melbourne bis ins Finale und unterlag dort dem Briten Richard McTaggert nach Punkten. Goldglanz hingegen verbreitete in Melbourne Wolfgang Behrendt. Im Bantamgewicht gegen Soon Chon Song (Südkorea) gewann der redegewandte Ostberliner nach Punkten. Wolfgang Behrendt wurde nach der Rückkehr aus Australien auf den Schultern der Fans als erster Olympiasieger der DDR durch Berlins Schönhauser Allee getragen.
Später studierte Behrendt Fotografie und ließ sich zum Kameramann ausbilden. Seine große Liebe gehörte der Fotografie. Er stieg zum Star-Fotografen der Zeitung „Neues Deutschland“ auf. Bei den Olympischen Spielen 1988 in Soul traf er sich mit Song, seinem Gegner von 1956. Beide tauschten Erinnerungen aus. „Von dem Treffen habe ich Fotos in meiner Wohnung. Ein Foto von der Siegerehrung 1956 ließ ich mir groß ziehen. Es hängt in meinem Schlafzimmer. Ich habe jetzt genug Platz. Erst ist meine Frau verstorben und vor zwei Jahren verstarb auch mit 62 Jahren mein Sohn Mario, der 1980 bei Olympia in Moskau boxte“, hören wir von einem traurigen Wolfgang Behrendt, 87.
Olympia-Held Wolke
Zwölf Jahre nach Behrendt hatte sich der gebürtige Babelsberger Manfred Wolke im Weltergewicht nach Siegen über Molina (Kuba), Arrias (Brasilien), Sandal (Türkei), Mussalimow (UdSSR) bis ins Finale gegen den blitzschnellen Joseph Bessala aus Kamerun geboxt. „Mit Ehrgeiz und nie erlahmender Kampfkraft beherrschte er die Weltergewichts-Szene“, schrieben damals die Zeitungen. 1972 trug Wolke die DDR-Fahne ins Stadion der Münchner Spiele, danach wechselte der Olympiasieger die Seiten. Von der Mitte des Seilgevierts hinter die Seile als Trainer. „Wolke war eine Respektsperson, ich habe von ihm menschlich und sportlich viel gelernt“, sagte Henry Maske nach seinem Olympiasieg über seinen Trainer. Neben Maske lernten auch Olympiasieger Torsten May und Axel Schulz den Faustkampf auf Weltklasse-Niveau bei Wolke. Heute lebt der 81-Jährige im Land Brandenburg im Seniorenheim.
Noch vor Maske hatte Manfred Wolke den Cottbuser Rudi Fink bei den Spielen 1980 in Moskau vor 17.000 Zuschauern im Olimpiiski-Sportkomplex zur Goldmedaille geführt. Der aus der Lausitz stammende Boxer bezwang im Finale den dreimaligen Weltmeister Adolfo Horta aus Kuba nach Punkten. Ab 2003 arbeitete Fink einige Zeit als Trainer im Frankfurter Wolke-Camp. Heute lebt der Gold-Boxer als Rentner in seiner Heimatstadt Cottbus. Finks Goldmedaille garnierten in Moskau Karl-Heinz Krüger (Welter), Detlef Kästner (Halbmittel), Herbert Bauch (Halbschwer) und der Geraer Schwergewichtler Jürgen Fanghänel mit Bronzemedaillen.
Bei den Olympischen Spielen 1972 in München glänzte der Hamburger Halbmittelgewichtler Dieter Kottysch († 2017) als Olympiasieger. Mit dem Berliner Dynamo-Boxer Peter Tiepold (Halbmittel) und dem Siegener Schwergewichtler Peter Hussing († 2012) verzierten zwei weitere deutsche Boxer Kottyschs Gold mit zwei Mal Bronze. Die bisher letzten drei Medaillen, allesamt aus Bronze, trugen Schwergewichtler Sebastian Köber aus Frankfurt (Oder) 2000 in Sydney, Bantamgewichtler Rustamhodza Rahimov in Peking 2004 und der Hamburger Artem Harutyunyan (-64 kg) 2016 in Rio de Janeiro aus den olympischen Boxringen.
Text von Manfred Hönel