Sarah Liegmann – Aus der Ringecke: Inspiriert von einer Legende

Bevor ich loslege: Ich freue mich sehr, dass du hier bist, um meine Kolumne zu lesen. Es wird chaotisch, lustig, aber hauptsächlich 100 Prozent echt. Ich werde von vielen Anekdoten und Erfahrungen aus dem Boxen berichten, aber dir auch spannende Insights in meinen alltäglichen Wahnsinn geben. Und jetzt heißt es: Ring frei!

Sarah Liegmann und Evander Holyfield nach dem Training. (Foto: Privat)

Er wurde am 19. Oktober 1962 in Alabama (USA) geboren, kämpfte in seiner Profikarriere sowohl im Cruisergewicht als auch im Schwergewicht. Sein Kampfname – The Real Deal. Während meines Camps 2021 in Florida hatte ich die große Ehre, Evander Holyfield privat zu treffen. Mein Coach John David Jackson trainierte ihn zu diesem Zeitpunkt und bot mir an, ein Training der beiden zu besuchen, um Evander kennenzulernen. Zuerst konnte ich es gar nicht glauben, dass so eine Legende es überhaupt zulassen würde, dass ich zugucken darf. Holyfield war Undisputed Champ sowohl im Cruiser- als auch im Schwergewicht und zählt zu den besten Schwergewichtlern aller Zeiten. Aber ihm gefiel die Idee, Box-Nachwuchs bei seiner Session zu haben.

Das Gym, wo die beiden trainierten, lag sehr versteckt in einer Lagerhalle. Von außen konnte man nicht erahnen, dass dort irgendwas Spannendes passiert. Trotzdem stand versteckt Security vor der Tür, um Evander maximale Sicherheit während seines Trainings zu geben. Zu dem Zeitpunkt, als ich ihn besuchen durfte, bereitete er sich auf einen Kampf vor – dazu später mehr. Eine ganze Stunde lang sah ich Evander beim Pratzentraining zu. Ich muss ehrlich sagen, dass ich bis heute zutiefst beeindruckt von seinem Körperbau bin. In dem Alter solch einen Körper zu haben, bedeutet eine Menge harte Arbeit.

Man sah diesem Ring-Helden deutlich an, dass er einige harte Schlachten geschlagen hatte. Neuromotorisch war Evander mit Ende fünfzig nicht mehr in der besten Verfassung. Ähnliches hatte ich in meinem letzten Camp bei Donovan Ruddock feststellen können, der sich aktuell angeblich auch auf ein Comeback vorbereitet. Ich fragte mich, warum Holyfield, dieser Box-Veteran, noch mal in den Ring steigen wollte – und dann auch noch gegen einen deutlich jüngeren Gegner. Leider erscheint dieser Kampf nicht mehr bei BoxRec, aber ich kann so viel sagen: Er dauerte nicht lange. Evanders Ecke musste das Handtuch werfen, was mir bis heute leidtut. Dass man ihm überhaupt in seinem Alter dazu geraten hat, noch mal in den Ring zu steigen …

Mit großem Glauben zum Ziel

Nach dem Training war ich erst zu schüchtern, um auf Evander zuzugehen. Allerdings stellte mein Coach schnell den Kontakt her. Ich war davon ausgegangen, dass wir zügig ein Foto machen, er meine Handschuhe signiert und dann duschen geht. Falsch gedacht! Evander fing an, mit mir zu sprechen. Das Gespräch begann erst oberflächlich, doch sehr schnell wurde es immer tiefgründiger. Er sah mein Kreuz, welches ich immer um den Hals trage, und sprach mit mir über seinen starken Glauben zu Gott und wie sehr dieser ihm auf seinem Weg Kraft geschenkt hatte. Seinen Glauben untermalte The Real Deal sogar mit seiner Signatur auf meinen Handschuhen. Neben seiner Unterschrift hat er dort auch den Psalm „Phil 4:13“ (alles kann ich durch Christus, der mir Kraft und Stärke gibt) mit verewigt.

Später sprach Evander sehr viel über seine Familie, aber überwiegend über seine Mutter, die er als eine der wichtigsten Personen in seinem Leben darstellte. Seine Mutter hat ihm und seinen neun Geschwistern eine wichtige Sache beigebracht, wie er immer wieder betonte: zu glauben. Evander ging besonders stark auf sie ein, auch weil bei diesem Treffen meine Mutter wieder mit dabei war.

Unser Gespräch dauerte insgesamt anderthalb Stunden. Ich kann es bis heute noch nicht glauben, wie Evander nach seinem Training bis in den letzten Zipfel seiner Klamotten nassgeschwitzt vor mir stand und sich in dieser Zeit eine riesige Pfütze unter ihm sammelte. Doch Evander interessierte das nicht, er wollte sich einfach Zeit nehmen, mir das zu vermitteln, was ihm einst seine Mutter immer gesagt hatte: „Zu glauben und niemals aufzugeben!“