Sarah Liegmann, Junioren-Weltmeisterin des WBC im Federgewicht, über die Forderungen der „Our Choice“-Bewegung und den Wandel im Frauenboxen.
Die Frauen im Profiboxen, darunter zahlreiche internationale Superstars wie Amanda Serrano, Chantelle Cameron oder Seniesa Estrada, fordern das Recht auf gleiche Regeln wie bei den Männern und bessere Bezahlung. Auch in Deutschland stößt die „Our Choice“-Bewegung auf breite Zustimmung. Im BOXSPORT-Interview bezieht die Junioren-Weltmeisterin Sarah Liegmann Stellung zu den Forderungen der prominenten Fürsprecherinnen.
Zahlreiche Stars des internationalen Frauenboxens fordern in der Erklärung „Our Choice“ gleiches Recht und gleiche Bedingungen wie die männlichen Kollegen. Wie stehst du zu diesen Forderungen?
Sarah Liegmann: Ich finde es sehr wichtig, dass wir Frauen für die Gleichberechtigung im Sport kämpfen. Wir sollten unter den gleichen Bedingungen kämpfen dürfen, es sollte jedoch zunächst die eigene Entscheidung sein und nicht von den Verbänden zur Pflicht gemacht werden.
Frauenkämpfe über zwölf 3-Minuten-Runden
Beim Regelwerk etwa fordern die Frauen eine angepasste Kampfdauer von 12 × 3 Minuten (statt bisher 10 × 2 Min.). Befürwortest du das?
Sarah Liegmann: Ich selbst trainiere immer mit 3-Minuten-Runden. Daher finde ich den konditionellen Aspekt hierbei gar nicht so schlimm. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass wir Frauen darauf konditioniert wurden, einen Kampf von insgesamt 20 Minuten zu bestreiten. Auf diese 20 Minuten bereiten wir uns langsam mit 4, 6 und 8 Runden im Laufe unserer Profikarriere vor. Wenn jetzt plötzlich einige Frauen an der Weltspitze neue Regeln wollen, weil sie mehr Geld und mehr Aufmerksamkeit verlangen, finde ich das völlig legitim und richtig. Trotzdem sollten diese Frauen nicht fordern, dass diese Regeln von den Verbänden fest übernommen werden.
Warum nicht?
Sarah Liegmann: Man muss sich die Kampfzeiten mal gegenüberstellen. 20 Minuten vs. 36 Minuten. Darauf trainiert man nicht in einem Camp hin. Auch das fordert meiner Meinung nach einen langsamen, gesunden Aufbau. Gerade junge Profis werden hier physisch starke Probleme haben mithalten zu können, da der Körper noch nicht ausgereift ist. Zudem ist der körperliche Verschleiß bei einer Umstellung auf 12 × 3 Minuten um ein Vielfaches höher, als es momentan der Fall ist. Des Weiteren wird es, durch die Ermüdung der Kämpferinnen, vermehrt zu Knock-outs kommen. Das kann im schlimmsten Fall zu schweren Kopfverletzungen führen, die die Karrierezeit im Frauenboxen immens verkürzen könnten.
Amanda Serrano und Danila Ramos bestritten Ende Oktober den ersten WM-Fight über 12 × 3 Minuten. Dagegen ist das Undisputed-Rematch zwischen Katie Taylor und Chantelle Cameron (25.11.) auf 10 × 2 Minuten angesetzt. Braucht es nicht Einheitlichkeit, um neue Regeln durchzusetzen?
Sarah Liegmann: Serrano forderte schon damals vor dem Kampf gegen Taylor 3-Minuten-Runden. Taylor hat sich bewusst dagegen entschieden. Ich kann das verstehen. Wenn man seit Jahren die Weltspitze, mit 10 × 2 Minuten dominiert, warum sollte man dann nach Regeln kämpfen, die mein Training nach Jahren komplett verändern würden und ich nicht nur alles verlieren kann, sondern vielleicht sogar meine Gesundheit in Gefahr bringe.
Die gesundheitlichen Folgen bei 12 × 3 Minuten
Amanda Serrano hat ihren WBC-Titel niedergelegt, weil der Verband der Titelverteidigung über 12 × 3 Minuten nicht zugestimmt hat. Du bist ja selbst Junioren-Weltmeisterin des WBC – warum stellt sich der Verband quer?
Sarah Liegmann: Gerade das WBC stützt sich seit Jahren auf Statistiken, die nicht als sexistisch zu sehen sind. Vielmehr beweisen sie faktisch, dass es gesundheitlich für uns Frauen zu größeren Risiken kommt. Der weibliche Körper, was viele nicht einsehen wollen, ist biologisch anders aufgebaut als der männliche Körper. Trotzdem: Ich halte es für gut, dass Serrano und Ramos die Möglichkeit hatten unter diesen Bedingungen zu kämpfen. Jedoch hat jeder selbst zu entscheiden, ob es richtig ist, nach vielen Jahren der mentalen und körperlichen Konditionierung auf 10 × 2 Minuten, 12 × 3 Minuten anzunehmen. Einheitliche Regeln halte ich an diesem Punkt für zu früh.
„Ich befürworte die Gleichberechtigung, solang die Verbände es uns Frauen zunächst in einer Übergangsphase freistellen, welche Runden- und Minutenzahlen wir wählen.“
Sarah Liegmann
Deine Einschätzung als Profisportlerin: Würden bei 12 × 3 Minuten konditionelle Defizite stärker ins Gewicht fallen? Und wären dann mehr Knock-outs das Resultat?
Sarah Liegmann: Definitiv. Sobald die Kondition einmal weg ist, verliert man Aufmerksamkeit, Schlagkraft, Geschwindigkeit etc. Dies führt natürlich deutlich schneller zu Knock-outs, da der Körper unter diesen Bedingungen nicht mehr gegenhalten kann. Gerade junge Frauen, die physisch noch nicht ausgereift nicht, werden hier deutlich stärkere Probleme haben, als bei 10 × 2 Minuten. Das ist biologisch einfach als Fakt zu sehen.
Sarah Liegmann: „Mehr Knock-outs in den höheren Gewichtsklassen“
Welcher Typ Boxerin profitiert bei einem längeren Kampf am meisten?
Sarah Liegmann: Meiner Meinung nach profitieren die Frauen in den höheren Gewichtsklassen am meisten davon. Denn hier wird es schneller zu Knock-outs kommen. Eher ausdauernde Frauen werden natürlich auch deutlich profitieren.
Was würdest du für eine höhere Rundenzahl und -dauer in deiner Vorbereitung auf einen Kampf ändern?
Sarah Liegmann: Da ich immer mit 3-Minuten-Runden trainiere, würde sich hier nichts ändern. Ich würde jedoch die Sparringsrunden und meine Sprintzeiten erhöhen. Gerade beim Herzspitzentraining müsste ich deutlich länger im roten Bereich bleiben, um konditionell weiter aufzubauen.
Wie fällt deine abschließende Beurteilung der „Our Choice“-Forderungen aus?
Sarah Liegmann: Für mich ist ganz klar, ich befürworte die Gleichberechtigung, solang die Verbände es uns Frauen zunächst in einer Übergangsphase freistellen, welche Runden- und Minutenzahlen wir wählen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Interview: Andreas Ohlberger