Auch wenn er die ganz großen Kämpfe und Börsen nie bekommen hat, liebt Timo Rost das Boxen mit ganzem Herzen. Doch bald muss der sympathische Boxprofi eine Entscheidung treffen, denn es geht um seine Zukunft.
Am 27. Januar endete das Gefecht zwischen Leon Bauer und Timo Rost in der Kölner „Motorworld“ in der dritten Runde, Technischer Knockout zugunsten Bauers. Für den Juniorenweltmeister aus Hatzenbühl war es nach Corona, persönlicher Krise und einem Jahr abseits des Rings ein Traumeinstand bei Universum, seinem neuen Boxstall.
In dieser Nacht gehörten Leon Bauer die Spots. Timo Rost stand im Schatten. Sein rechtes Auge war zu einem fiesen Schlitz zusammengeschwollen. Er hatte sich im Gefecht verletzt und gab auf. Es war die zweite Niederlage für den 32-Jährigen in seiner nunmehr 21 Fights umfassenden Karriere als Berufsboxer.
„Es hat hässlich geknackt“
Ob er an eine Revanche glauben würde, fragte BOXSPORT nach dem Gefecht. „Nein“, so Rost, „Bauer hätte alles zu verlieren und nichts zu gewinnen.“ Aus dem Düsseldorfer spricht der Realist, obwohl – wie er sagt – „der Kampf sich nicht wie einer Niederlage anfühlt“. Er sei gut in den Fight gestartet und hätte in der ersten Runde die maßgeblichen Führhandduelle gewonnen. In der Dritten sei er zum Ausweichen nach rechts abgeknickt. Dabei habe ihn Bauer mit einem „Allerwelts-Aufwärtshaken“ getroffen. „Es hat hässlich geknackt und ich merkte, dass beim Atmen Luft in die Augenhöhle entwich.“ Der Ringarzt diagnostizierte bei Rost eine Orbitaboden-Fraktur, ein Bruch des unteren Teils der Augenhöhle. Wäre die Verletzung schwerer ausgefallen, hätte der Sekundenbruchteil der Unachtsamkeit seine Zukunft in tausend Splitter zertrümmert.
Doch für Timo Rost muss es weitergehen. 2019 hat er seine langjährige Freundin Laura geheiratet. Zwei Jahre später kam Frieda zur Welt und im Juni wird Frieda ein Brüderchen bekommen. Rost steht am Scheideweg. Die Handschuhe für immer ausziehen und sich um Familie und Job kümmern? Oder weiterboxen und noch einige gute Kämpfe abliefern?
Da wäre er wieder beim potenziellen Verletzungsrisiko, wie ihm der Bauer-Fight deutlich vor Augen geführt hat. Denn an diese eine, alles auf den Kopf stellende WM-Chance, daran hatte er den Glauben verloren. „Ich bin Profi geworden, um mich so weit wie möglich in die Weltspitze zu boxen“, sagt Timo. „Es war mein Traum und dafür habe ich auf vieles verzichtet.“ Wenn seine Freunde Party feierten, hat er als Kellner in einer Bar das Geld für seinen nächsten Gegner verdient. „Wenn sie Essen waren, habe ich Gewicht gemacht. Und wenn sie gechillt haben, habe ich mich in der Halle gequält. Alle Entbehrungen habe ich gerne auf mich genommen, denn ich hatte große Ziele.“
Der Boxprofi hat durch den selbst auferlegten Verzicht auf alltägliche Dinge diese erst zu schätzen gelernt: in ein Restaurant zu gehen, sich mit Freunden zu treffen oder Zeit mit der Familie zu verbringen – und gerade die möchte Timo Rost nicht mehr missen. Trotz aller Ideale, eines hat er aus seinen sieben Profijahren mitgenommen: „Um oben anzuklopfen, helfen Talent und Erfolg maximal zu einem Drittel. Die Gamechanger sind beste Kontakte und ein langfristig denkender Promotor. Und du musst die richtigen Klinken putzen. Zusammengefasst, dieses Glück hatte ich nicht.“
Rost boxt als „One-Man-Show“
Nur ein Mal war der sympathische Supermittelgewichtler dicht dran an einem Promotor. Fächer Sport gab Rost 2022 einen Vertrag, löste ihn aber kurze Zeit später wieder auf. Kämpfe, Training, Sponsorensuche: Als „One-Man-Show“ hatte der angehende Polizist alles selbst gemanagt. Rost erinnert sich: „Jeden Cent, den ich beim Kellnern in der Bar verdiente, investierte ich in den Sport. Am aufwendigsten waren die Börsen für meine Gegner. Je höher sie gerankt waren, desto tiefer musste ich in die Tasche greifen.“ Mit den ersten Sponsoren trat Besserung ein. Um konkurrenzfähig zu bleiben, professionalisierte er sein Umfeld. Eva Dzepina übergab er die Organisation.
Dann kam sein Gefecht gegen Felix Sturm – der größte Name, den Timo bis dahin geboxt hatte. Er zwang Sturm über die Runden und verlor nach Punkten. Es war seine erste Niederlage in dreizehn Kämpfen. Leon Bauer und Felix Sturm. Zwei klangvolle Namen. Zwei Niederlagen. Was war der Unterschied? „Für Felix Sturm war ich der Aufbaugegner, den er brauchte, um wieder Ringgefühl zu entwickeln. Dagegen hat mich Leon Bauer ernst genommen, denn ihm war nicht klar, was auf ihn zurollen würde“, sagt er.
Beliebt bei den Fans
Timo Rost ist beliebt. Bei seinen Kämpfen skandieren seine vielen Anhänger lautstark seinen Namen. Je näher seine Fights an Düsseldorf dran sind, desto größer ist die Zahl seiner Fans. Kaum zu glauben, dass Timo beinahe jeden von ihnen persönlich kennt. Sie kommen aus Gerresheim, einem lebendigen Düsseldorfer Viertel. Dort ist er aufgewachsen, dort hat er zehn Jahre lang gejobbt und das Boxen gelernt. Und wenn man in Düsseldorf echt und sympathisch ist, dann schließt man Freundschaften und lernt viele großartige Menschen kennen. Sie siegen oder verlieren mit ihm.
Polizistenlehre in Duisburg, Training bei Bekim Hoxhaj in Leverkusen und Familie in Remscheid. Der demnächst zweifache Familienvater düst hin und her. Doch jetzt steht er am Scheideweg. Wie Timo weitermacht? Das will er in Ruhe mit Laura, Coach Bekim und Managerin Eva besprechen.
Egal, welche Entscheidung Timo Rost treffen wird: Sein letzter Antritt wäre in Gerresheim. Es wäre ein Stadtteilfest mit Familie, Freunden und Bekannten. Geboxt würde dann dort, wo die Timo-Rost-Story ihren Anfang nahm. Beim TuS Gerresheim an der Hayestraße, mit dem Ring mitten auf dem Fußballplatz aufgebaut. Wetten?
Text: Wolfgang Wycisk