Turki Al-Sheikh: Der Strippenzieher (I)

Turki Al-Sheikh ist der derzeit mächtigste Mann im Boxsport. Der saudische „Unterhaltungs-Minister“ hat sein umstrittenes Land in weniger als fünf Jahren zum Mekka des Faustkampfs gemacht – mit viel Geld, aber auch mit Geschick.

Stolz posiert Turki Al-Sheikh (3.v.r.) im Vorfeld des „Ring of Fire“ mit den Box-Mächtigen. Von links nach rechts: Fury-Manager Spencer Brown, Tyson Fury, Promoter Frank Warren, Hollywood-Legende Sylvester Stallone, Usyk-Manager Alexander Krassyuk, Oleksandr Usyk. (Foto: Getty Images / Alex Pantling)

Turki Al-Sheikh, 42, will nicht mehr und nicht weniger, als die Welt zu revolutionieren – zumindest die Welt des Profi-Boxsports. Sein ultimatives Ziel: eine neue, globale Institution, unter deren Dach künftig sämtliche Top-Fighter um einen globalen Titel pro Limit kämpfen sollen. Eine Art Weltliga, eine UFC für Boxer. Wie die Nachrichtenagentur Reuters Mitte Juni berichtete, gab es diesbezüglich bereits ausführliche Gespräche zwischen Al-Sheikh und den weltgrößten Promotern wie Matchroom Boxing (Eddie Hearn) oder Golden Boy Promotions (Oscar de la Hoya).

„Es gibt eine große Chance im Boxsport“, hatte Turki Al-Sheikh bereits Anfang des Jahres gegenüber dem US-Sportsender ESPN orakelt. „Aber man muss den Markt verbessern.“ Statt der vier rivalisierenden Welt-Boxverbände WBA, WBC, WBO und IBF mit ihren teils unerklärlichen Weltranglisten und ihrem immer undurchdringlicher werdenden Titel-Dschungel soll es künftig nur noch eine legitime Organisation geben. Unter dem Kommando von Al-Sheikh und den Saudis.

Internationale Boulevardblätter bezeichnen diesen Turki Al-Sheikh gerne als „Unterhaltungs-Minister“ des schwerreichen Golfstaats. Aber das stimmt so nicht ganz: Der Marketing-Experte ist offiziell Vorsitzender der saudischen „General Entertainment Authority“ (GEA), die als Eigentum des staatlichen Investment-Fonds PIF direkt der saudischen Regierung unter Kronprinz Mohammed bin Salman untersteht. Dass der „Unterhaltungs-Minister“ gerade im Boxsport Großes auf die Beine stellen kann, weiß spätestens nach dem Schwergewichts-Vereinigungskampf zwischen Oleksandr Usyk und Tyson Fury der gesamte Planet. Experten bestaunen das Werk von Al-Sheikh schon länger mit einer gewissen Bewunderung: Der Mann aus Riad brauchte keine fünf Jahre, um die „Riyadh Season“, eine Serie von hochklassigen Veranstaltungen unter saudischer Regie, zur echten, wenn auch umstrittenen Weltmarke zu machen.

Turki Al-Sheikh – Geld und Geschick

Al-Sheikh (r.) und die VIPs: hier mit Anthony Joshua (l.) und Fußball-Star Cristiano Ronaldo (M.), in Saudi-Arabien unter Vertrag, beim Mega-Fight zwischen Usyk und Fury. (Foto: Getty Images / Richard Pelham)

Die Bedenken der bisherigen Platzhirsche im Box-Business waren schnell zerstreut. „Will ich das schnelle Geld in Saudi-Arabien und verliere die Fangemeinde und die Fans, die die Kämpfer brauchen, um ihre Karriere voranzutreiben?“, fragte Golden-Boy-Chef Oscar de la Hoya. „Deshalb habe ich ständig diese schlaflosen Nächte, weil ich ständig darüber nachdenke, was als Nächstes kommt …“ Letztlich aber ist auch für de la Hoya alles nur eine Frage des Preises: „Schauen Sie, Geld ist Geld und es ist grün. Wissen Sie, wenn Saudi-Arabien einem etwas Verrücktes anbieten will, muss man darüber nachdenken.“

Das weiß auch Turki Al-Sheikh. Der Absolvent der König-Fahd-Universität (mit gleich vier Studienabschlüssen) ist ein Mann mit vielen Talenten: Al-Sheikh ist gebildet und gerissen wie der New Yorker Box-Anwalt Bob Arum, smart und eloquent wie der britische Matchroom-Macher Eddie Hearn. Aber wenn’s sein muss, kann der Vater dreier Kinder auch mal so skrupellos sein wie der berüchtigte US-Promoter Don King. Mit diesen Stilmitteln hat Al-Sheikh sein Heimatland binnen kürzester Zeit zum Mekka des Boxsports gemacht. Der jüngste Vereinigungskampf zwischen Fury und Usyk war der Höhepunkt – vorläufig jedenfalls. Al-Sheikh, in englischsprachigen Ländern als „Alalshik“ bekannt, hat noch sehr viel mehr vor und redet ganz offen über mögliche weitere Blockbuster wie Canelo Alvarez vs. Terence Crawford. Warum auch nicht? Wenn einer solche Mega-Millionen-Deals zustande bringt, dann Al-Sheikh, der Mann mit der schier unerschöpflichen Kriegskasse, gefüllt mit den Petro-Dollars aus dem Erdöl-Geschäft.

Platzhirsche mischen mit

Natürlich ist dieser Turki bin Abdulmohsen bin Abdul Latif Al-Sheikh – so sein vollständiger Name – clever genug, um zu wissen, dass er die althergebrachten Boxsport-Nationen und die bisherigen Platzhirsche im Business nicht komplett außen vor lassen kann. Deshalb lässt er die Promoter der Topkämpfer ausgiebig an seiner Riyadh Season partizipieren – nicht nur wirtschaftlich, sondern ebenfalls in puncto Planung und PR. Auch die von Al-Sheikh ins Auge gefasste neue Box-Liga soll dem Vernehmen nach ein Joint Venture werden, vier bis fünf Milliarden Dollar schwer, unter Beteiligung britischer, amerikanischer und zahlreicher weiterer internationaler Stakeholder. Aber eben unter der Federführung von Al-Sheikh.

Selbst Eddie Hearn, von Natur aus mit großem Selbst- und Machtbewusstsein ausgestattet, klingt ausgesprochen untertänig, wenn er über den Super-Strippenzieher aus Riad spricht: „Seine Exzellenz Turki Al-Sheikh und Saudi-Arabien prüfen viele Möglichkeiten innerhalb des Sports. Er hat einen großartigen Verstand und eine Vision, wo Boxen seiner Meinung nach sein sollte … Ich denke, viele seiner Pläne sind unglaublich spannend.“ Zur geplanten neuen Box-Liga sagt Hearn: „Wenn jemand so etwas hinkriegt, dann vermutlich Turki Al-Sheikh und Saudi-Arabien.“ Sogar der US-amerikanische UFC-Boss Dana White, bislang vor allem als Konkurrent des Box-Business bekannt, soll hinter den Kulissen bereits sein Interesse an einem Einstieg in das neue Projekt von Al-Sheikh bekundet haben. Dass Saudi-Arabien vor nicht allzu langer Zeit einen kritischen Journalisten namens Jamal Kashoggi grausam ermorden ließ, lässt die Manager aus dem Westen scheinbar kalt.

Zwischen Investition und Vernunft

Geld regiert die Welt – gerade im Berufsboxen. So war es schon beim „Rumble in the Jungle“ von 1974, als Muhammad Ali, George Foreman und ihre jeweiligen Manager einem unmoralischen Angebot des zairischen Despoten Mobutu Sese Seko erlegen waren. Oder beim „Thrilla in Manila“ im Jahr darauf, als Ali und Joe Frazier unter den Augen des philippinischen Diktators Ferdinand Marcos in den Ring stiegen.

Eddie Hearn sieht in der neuen Vormachtstellung von Saudi-Arabien im Seilgeviert vor allem ein großes wirtschaftliches Potenzial, aber auch die Chance, dem Boxsport wieder zu jener Reputation zu verhelfen, die er spätestens um die Jahrtausendwende verloren hat: „Alle Welt redet darüber, dass diese großen Kämpfe nach Saudi-Arabien gehen. Gut so, denn ohne Saudi-Arabien würden wir diese Kämpfe nicht sehen“, erklärte der Matchroom-Chef Anfang des Jahres. „Das hier ist der nächste Level. Und es ist eine Freude, ein Teil davon zu sein. Es ist eine gute Nachricht für die Fans, dass wir künftig all diese großen Kämpfe sehen werden.“

Um das möglich zu machen, nimmt Turki Al-Sheikh mitunter sehr viel mehr Geld in die Hand, als auf den ersten Blick vernünftig erscheint. Er selbst sieht das als notwendige Investition in die Zukunft eines Sports, der phasenweise keine allzu große Zukunft mehr zu haben schien …

Text von Rolf Hessbrügge

Teil zwei des Reports findet ihr am Freitag hier.