Im zweiten Teil des Reports über Turki Al-Sheikh geht es darum, wie der Unternehmer einen Traum-Fight nach dem anderen in den Golfstaat holte.
Hier geht es zum ersten Teil des Reports.
Begonnen hatte alles im Dezember 2019 mit dem Schwergewichts-Titelkampf zwischen dem Hearn-Schützling Anthony Joshua und dem US-Amerikaner Andy Ruiz jr. Nicht die Zocker-Metropole Las Vegas, nicht der alt-ehrwürdige New Yorker Madison Square Garden und auch nicht das monumentale Londoner Wembley-Stadion durften dieses mit Spannung erwartete Rematch beherbergen, sondern das eher unbekannte saudi-arabische Diriyah, eine Vorstadt von Riad. Joshua, im ersten Kampf böse überrascht, schaffte die Revanche gegen Ruiz, und die 15.000 Zuschauer in der Halle waren restlos begeistert. Boxen war angekommen in Saudi-Arabien – gekommen, um zu bleiben. Auch wenn die Corona-Pandemie dem Kampfgeschehen bald darauf eine längere Unterbrechung auferlegte.
Traum-Fights in Riad
Im August 2022 war es dann erneut Anthony Joshua, der im Rahmen der Riyadh Season in Saudi-Arabien auftrat – diesmal in Jidda, zum Rematch gegen einen gewissen Oleksandr Usyk. Joshua-Promoter Hearn hatte das gewaltige wirtschaftliche Potenzial des Golfstaats längst erkannt und trotz der dort problematischen Menschenrechtslage offenbar keine Bedenken, die offerierten Börsen dankend anzunehmen. Joshua verlor auch den Rückkampf gegen Usyk nach Punkten, doch er hatte die Tür geöffnet für andere Kämpfer und weitere prominente Boxställe wie das englische Queensberry Promotions von Frank Warren, der Tyson Fury zu seinen Schützlingen zählt. Im Oktober 2023 stieg in Riad ein mit 60 Millionen Dollar dotierter Jux-Kampf zwischen dem damaligen WBC-Champion Fury und dem französisch-kamerunischen Mixed-Martial-Arts-Star Francis Ngannou, den der Brite nur äußerst knapp in die Schranken weisen konnte.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. Am 23. Dezember 2023 erlebte Riad den „Day of Reckoning“ (deutsch: Tag der Abrechnung), eine Veranstaltung mit acht Topkämpfen im Schwer und Halbschwer, darunter Joshua vs. Otto Wallin, Deontay Wilder vs. Joseph Parker und Agit Kabayel vs. Arslanbek Makhmudov. Keine sechs Monate später durfte Turki Al-Sheikh dann „die Kronjuwelen unserer Anstrengungen“ bejubeln: den lange erwarteten Vereinigungskampf in der Königsklasse zwischen Fury (WBC) und Usyk (WBA, IBF, WBO), abermals in Riad. Dass der Ukrainer sich in dem angeblich 140 Millionen Dollar schweren Mega-Duell zum Undisputed Champion krönte, war für Turki Al-Sheikh nur Nebensache. Der Mann mit der dunklen Sonnenbrille feierte seinen eigenen Mega-Erfolg: Er hatte einen Traum-Fight möglich gemacht, der zuvor immer wieder an den bizarren Forderungen der einen oder der anderen Seite zerplatzt war.
Das neue Box-Mekka
Nun hatte Al-Sheikh sein Land endgültig zum Mekka des Boxsports erhoben – mit sehr viel Geld, logisch, aber auch mit einer gehörigen Portion Geduld und Gesprächskunst. Als Tyson Fury den für Februar geplanten Undisputed Fight gegen Usyk wegen einer beim Sparring erlittenen Platzwunde absagte und das Team des Ukrainers bereits mögliche Ersatzgegner ins Spiel brachte, setzte sich Turki Al-Sheikh flugs in einen Privatjet und reiste ins eiskalte Nordengland zum Fury-Clan, von wo aus er eine spontan einberufene Videokonferenz mit dem Usyk-Lager moderierte. Heraus kamen eine Einigung sowie ein neuer ultimativer Kampftermin, der 18. Mai, den beide Kontrahenten zu akzeptieren hatten.
Al-Sheikh ist zwar ein höflicher, besonnener Verhandlungspartner. Aber für Bullshit ist er nicht zu haben. Als der saudische Mega-Matchmaker im Februar einen Kampf zwischen Gervonta „Tank“ Davis und Devin Haney ins Gespräch brachte, tönte Davis auf Social Media: „Wenn sie mich haben wollen, müssen sie was rüberwachsen lassen … sagen wir: zwei Ferraris.“ Al-Sheikhs kühler Konter: „Ich habe gehört, was Davis gesagt hat. Ich sage ihm: Wir schicken dir zwei Handschuhe, wenn du willst. Das ist alles.“
Turki Al-Sheikh: Matchmaker für Saudi-Arabien
Ohnehin ist der Boxsport für Al-Sheikh nur ein Werkzeug – eine von vielen Disziplinen, die das Königreich Saudi-Arabien auf Sicht zur Sport- (Veranstaltungs-)Nation Nummer eins machen sollen und damit zur Reise-Destination für Fans aus aller Welt. Dazu beitragen sollen auch die mit (Ex-)Weltstars wie Cristiano Ronaldo aufgeblasene „Saudi Pro League“ im Fußball, die saudische LIV-Golf-Tour, die von Al-Sheikh „aufgekaufte“ ATP-Tour im Tennis oder die Rallye Dakar, deren Teilnehmer schon seit 2020 durch den arabischen Wüstensand brettern.
Hochglanz-Events wie diese sollen dem ultra-religiösen, totalitär regierten Ölstaat am Golf nicht nur eine wirtschaftliche Perspektive für die Zeit nach den fossilen Energien bescheren, sondern auch ein neues, blitzsauberes Image. Experten sprechen an dieser Stelle von „Sportswashing“. Ein Begriff, mit dem der mächtige saudische Kronprinz offenbar kein Problem hat: „Das ist mir egal“, erklärte Mohammed bin Salman im September 2023 in einem Interview mit dem US-Sender Fox News: „Ich habe ein Brutto-Inlandsprodukt-Wachstum von einem Prozent durch den Sport und ich strebe weitere 1,5 Prozent an. Nennen Sie es also, wie Sie wollen – wir werden die anderen 1,5 Prozent auch noch bekommen.“
Riyadh Season auf der ganzen Welt
Das wiederum kann nur funktionieren, wenn die Saudis auch den Rest der Welt an ihren Veranstaltungen teilhaben lassen – und zwar nicht bloß via Livestream im Internet. Auch deshalb wird die Riyadh Season künftig nicht mehr ausschließlich am Golf stattfinden, sondern auch auf anderen Kontinenten, wenngleich natürlich weiterhin unter der Regie von Turki Al-Sheikh. Geboten wird mutmaßlich großartiger Sport: Am 3. August soll US-Superstar Terence Crawford in Los Angeles gegen den ungeschlagenen Usbeken Israil Madrimov seinen Weltergewichts-Titel nach WBA-Version (Super) verteidigen. Auch auf der Undercard finden sich weitere Top-Fights mit Isaac „Pitbull“ Cruz, Andy Ruiz jr., Jared Anderson sowie Andy Cruz. Am 21. September schlägt die Riyadh Season dann auch im Londoner Wembley-Stadion auf, wenn Lokalmatador und Ex-Heavyweight-Champion Anthony Joshua zur „Battle of Britain“ gegen seinen Landsmann Daniel Dubois ins Seilgeviert klettert.
Saudi-Arabien beherrscht die Welt, jedenfalls die Welt des Boxens. Das muss man nicht gut finden, aber man sollte es zumindest zur Kenntnis nehmen.
Text von Rolf Hessbrügge