Obwohl der Düsseldorfer Verein eine erfolgreiche Nachwuchsarbeit betreibt, muss er seine Talente mangels Ressourcen später ziehen lassen. Die TuS-Verantwortlichen beklagen vor allem eine mangelnde Unterstützung seitens der Stadt.
Es ist Montag, der 24. Juni, 17.20 Uhr in Düsseldorf-Gerresheim und einer der wenigen sonnigen Nachmittage in Nordrhein-Westfalens ungewöhnlich durchnässter Landeshauptstadt. Yassin kommt mit der Linie „U-73“ an der Haltestelle Dörfeldstraße an. Er springt aus der Bahn, läuft ein kurzes Stück die Heyestraße hinauf und biegt dann links ab in die Sackgasse, die vor dem Fußballfeld des TuS Gerresheim endet. Kurz vor dem Platz knickt Yassin rechts ab und flitzt in die Box-Halle, erster Stock, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Trotz der Rennerei kann der Teenie die Zeit nicht überlisten. Um 17.25 Uhr ist er da – und zehn Minuten zu spät. Der Ärger mit Coach Steffen Müller ist vorhersehbar.
Steffen Müller ist seit 2012 Trainer beim TuS Gerresheim. Der Förderverein „Düsseldorfer-Box-Vereine“ lotste den früheren Staffelboxer damals an die Heyestraße. Müller innovierte Gerresheims Boxsport-Training und deckt nun gemeinsam mit Isabell Urner und Manfred Fammler das Trainingsspektrum der Wettkämpfer und jener, die es werden wollen, ab. Neben der Nachwuchsarbeit und dem außergewöhnlichen Angebot für Hobbysportler punktet der Club mit seinem Zusammenhalt. Für die Mitglieder ist TuS nicht nur ein Verein, er ist ein Stück Heimat, mitten in Gerresheim.
„Zählen zu den Besten“
„Unser Nachwuchs gehört landesweit zu den besten“, sagt Christof Ankenbrand stolz. Dies verdeutlicht Gerresheims oberster Box-Funktionär anhand beeindruckender Leistungskenn- zahlen: 298 bestrittene Kämpfe im Jahr 2023; 38 DM-Medaillen seit 2017; drei EM- und ein WM-Teilnehmer; Top-Platzierungen beim „Cologne World Cup“ sowie den internationalen Turnieren Brandenburg-Cup und Eindhoven-Cup; 30 Leistungsboxer.
Luka ist heute als Erster angekommen. Er zieht Sandsäcke aus der Gerätebox und hängt sie mit seinen nach und nach eintreffenden Kameraden auf. Müller liest noch einmal in seiner dicken Kladde, welches Trainingsprogramm er für heute vorsieht. Dann baut der Coach kleine Hütchen auf, in Zweierreihen, jedes Pärchen genau ausgerichtet. Um 17.15 Uhr ist die Halle rammelvoll und das Training beginnt. Es ist leicht, bei dem Gewusel den Überblick zu verlieren, doch Müller und Co-Trainerin Isabell Urner verfügen über magische Augen. Sie sehen Yassin, wie er sich unter die Trainierenden mogeln will. Der Übungsleiter wird laut. Jeder weiß, was das bedeutet: Mit gesenktem Kopf verlässt Yassin die Halle.
„Wir haben bis zu 90 Athleten mit unterschiedlichen Trainingsständen auf der Fläche“, stellt Müller klar. „Was wäre das für ein Chaos, wenn die, die zu spät kommen, ständig den Trainingsbetrieb stören würden? Es ist schon jetzt unzumutbar, wir haben alles ausgereizt.“ Montags trainieren die Trainingsgruppen T1, T2 und T3 zeitlich überschneidend, wobei in T1 die Unerfahrenen zusammengefasst sind und T3 den Leistungskader abbildet. Isabell Urner bringt die T1, die größte Gruppe, zum Schwitzen. Steffen Müller bildet die T2 und T3 aus. Jedes Team bekommt eigene Aufgaben.
Von T1 zu T2 bis T3, vom Anfänger bis zum Ringfuchs – das ist keine Einbahnstraße und nicht „ohne“, wie Luka sagt. „Ich habe mit dem Boxen im Dezember 2022 in der T1 begonnen, damals hatte ich 103 Kilo Gewicht. Für Steffen war ich viel zu schwer. Er hatte mich wöchentlich gewogen – und hätte ich die vereinbarten Gewichtsziele nicht erreicht, wäre ich geflogen.“ Ein Jahr später kam er in die Gruppe T2. Luka bestand das obligatorische Vorboxen und Wettkampfsparring im niederländischen Apeldoorn, in Düsseldorf und Duisburg. Erst danach bestritt er seinen ersten Wettkampf – im Weltergewicht, der Gewichtsklasse bis 69 Kilo, wohlgemerkt.
TuS-Coach fordert Disziplin
Sitzt er jetzt in T3 fest im Sattel? „Nein“, weiß Luca, „ich habe ein Mal das Training geschwänzt und war danach wieder bei den Anfängern in der T1. Und jeder, der zu spät kommt, wird nach Hause geschickt. Aber lieber vor die Tür gesetzt werden als gar nicht hingehen.“ Denn trotz der Härte sind die Kids geradezu süchtig nach Müllers Training. Sie stehen auf die toughe Art des Coaches, die immer neuen Trainingsreize und den gemeinsamen Erfolg mit dem TuS Gerresheim. Und das ist ihnen wichtiger, als in einer hypermodernen Kampfschule mit Boxringen und Heavy Bags zu trainieren.
TuS-Boxmanager Wolfgang Wycisk sucht seit langem nach einer Lösung, die die Topathleten an die Stadt und den Verein bindet. „Alle, die älter als 20 Jahre sind, können wir kaum halten“, sagt er. „Steffens Ressourcen sind begrenzt und der Vorstand hat die strategische Entscheidung getroffen, den Schwerpunkt beim Nachwuchs zu setzen, der bei uns mit 20 Jahren endet.“ Auch wenn man die nötigen Trainer-Ressourcen hätte, „die aktuellen Übungsflächen und -zeiten geben es nicht her, die älteren Boxer leistungsgerecht zu versorgen“.
Vor allem von Düsseldorfs Amtsträgern ist Wycisk enttäuscht. Mehrfach hatte er sie auf die prekäre Hallen- und Trainer-Situation und die bitteren Konsequenzen hingewiesen. Die Hartnäckigkeit des TuS-Funktionärs gipfelte in einem Gespräch mit der für Sport und Bürgerservice verantwortlichen Dezernentin sowie der ihr zur Seite stehenden Sportamtsleiterin. „Für mich war es kein Gespräch, sondern ein Fiasko“, betont Wycisk. „Gäbe es den Stadtsportbund nicht, würden wir gar keine Hilfe erhalten.“ Und fügt frustriert hinzu: „Manchmal ist der Gegner eben nicht der, der die Handschuhe trägt.“
Text von Wolfgang Wycisk