Hans Ehle: „Ich lasse mir die Zeugnisse zeigen.“

Hans Ehle ist seit mehr als fünf Jahrzehnten Mitglied des SC Colonia 06. Als Kümmerer, Vaterfigur und Seele des Vereins vermittelt er der Jugend Werte und Ziele – im Boxen wie fürs Leben.

Hans, mit Stefanie von Berge, Nelvie Tiafack und Denis Bril verfügt der SC Colonia 06 aktuell über drei Kader-Athleten. Wie ist der Verein insgesamt im Nachwuchs aufgestellt?

Hans Ehle: Wir sind ein großer Verein mit 580 Mitgliedern und einer Menge Talente. Zudem verfügen wir über hervorragende Trainer, die genau wissen, wie sie den Nachwuchs ausbilden und nach vorn bringen können. Doch weil uns die Qualität unserer Talente sehr am Herzen liegt, mussten wir die Reißleine ziehen und einen Aufnahmestopp verhängen. Das tut uns zwar leid, aber es gibt in der Stadt auch andere Vereine, wo der Nachwuchs gut unterkommt.

Wie ist das Verhältnis zu anderen Vereinen?

Hans Ehle: Wir sind offen für Zusammenarbeit. So ermöglichen wir beispielsweise den Talenten anderer Vereine, bei uns zum Sparring zu kommen, denn der SC Colonia ist für alle da. Wir richten auch ein U15-Anfängerturnier aus, wie es sie früher regelmäßig, zuletzt in Köln aber leider überhaupt nicht mehr gab. An unserem Nachwuchsturnier kann jeder Verein mit seinen Boxern teilnehmen.

Der SC Colonia ist für sein sportliches, aber auch für sein soziales Engagement bekannt. Was ist dir besonders wichtig?

Hans Ehle: Ich bin für viele eine Art Vaterfigur, kenne jeden im Verein und jeder kennt mich. Für mich ist es wichtig, dem Nachwuchs nicht nur das Boxerische zu vermitteln, sondern auch Respekt im Umgang miteinander. Außerdem helfe ich mit Praktikums- oder Ausbildungsstellen und bei der Wohnungssuche. Haben die Kids Probleme in der Schule, tausche ich mich mit ihren Lehrern aus. Mit Einverständnis der Eltern lasse ich mir auch die Zeugnisse zeigen. Die Jugendlichen, die es nötig haben, erhalten bei uns Nachhilfe. Und wer gute Noten hat, bekommt von mir einen Fünf-Euro-Schein in die Hand gedrückt.

Und wenn die Noten miserabel sind …?

Hans Ehle: … erteile ich zeitweilig Box-Verbot. Ich mache dem Nachwuchs klar, dass es nur ein kleiner Teil ist, der es im Boxen am Ende auch nach oben schafft. Deshalb muss das Fundament stimmen, dazu gehören für mich Schule, Abitur, Studium und so weiter.

Mit welchen Sorgen kommen die Talente noch auf dich zu?

Hans Ehle: Wir haben vor Kurzem zum Beispiel einen jungen kongolesischen Boxer unterstützt. Ich merkte schnell, dass mit dem Jungen etwas nicht stimmte. Als ich nachfragte, erklärte er mir, dass sein Vater im Kongo gestorben war. Der Junge, 17 Jahre alt, war fix und fertig, weil er seinen Vater nicht beerdigen konnte. Ich habe ihm dann das Geld für einen Flug in die Heimat gegeben, damit er sich vor Ort kümmern konnte. Er fiel mir vor Freude dankbar um den Hals.

Du gehörst dem SC Colonia seit 56 Jahren an. Wie hält man es so lange bei einem Verein aus?

Hans Ehle: Die ersten Jahre ist man „dabei“, aber eines Tages merkt man, dass es ohne diesen Verein nicht mehr geht. Nach meiner aktiven Laufbahn habe ich die Kampfrichter- und Trainer-Lizenz erworben, war dort viele Jahre lang im Einsatz. 2015 habe ich das Amt des Geschäftsführers von Franz Zimmermann übernommen und übe es seitdem ehrenamtlich aus. Man wächst einfach mit diesem Verein, er ist mein Leben – ich könnte mir eines ohne den SC Colonia nicht mehr vorstellen.

Wie hat sich der Verein entwickelt?

Hans Ehle: Als ich 1967 bei Colonia mit dem Boxen anfing, war es ein ganz kleiner Verein. Seine gute Entwicklung hat er vor allem meinem Vorgänger Franz Zimmermann (verstarb 2019; Anm. d. Red.) zu verdanken, von ihm habe ich einen recht erfolgreichen Verein übernommen. Franz war mein Ziehvater, denn mein eigener Vater starb, als ich 14 Jahre alt war. Ich hatte als junger Mann meine Höhen und Tiefen und bin immer wieder vom SC Colonia aufgefangen worden. Das habe ich nie vergessen und möchte etwas zurückgeben. Dass wir heute mit Talenten wie Stefanie oder Nelvie gesegnet sind, macht mich total stolz und motiviert mich, den Verein noch weiter nach oben zu führen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg.

„Ich hatte als junger Mann meine Höhen und Tiefen und bin immer wieder vom SC Colonia aufgefangen worden. Das habe ich nie vergessen und möchte etwas zurückgeben.“

Hans Ehle

Kürzlich richtete der Deutsche Boxsport-Verband in Köln wieder den „Cologne Boxing Cup“ aus, ein internationales Turnier im olympischen Boxen. War der SC Colonia involviert?

Hans Ehle: Wir haben das Turnier im Maritim-Hotel tatkräftig unterstützt, viel Manpower reingesteckt, den Boxring zur Verfügung gestellt sowie Transport, Auf- und Abbau auf eigene Kosten organisiert.

Vor Jahren kämpften noch die Klitschkos und Felix Sturm regelmäßig vor großem Publikum in der Domstadt. Lässt sich das Boxen in Köln wiederbeleben?

Hans Ehle: Es kann wiederbelebt werden, aber es ist vor allem eine Frage der Kosten. Wir haben zum Beispiel jahrelang die Internationalen Deutschen Jugendmeisterschaften U18 in Köln ausgerichtet, ein mehrtägiges Turnier, an dem regelmäßig 14 bis 16 Landesverbände teilgenommen haben. Allein die Kosten für Auf- und Abbau sowie für die Veranstaltungstage belaufen sich auf geschätzte 60.000 Euro. Welcher Verein kann sich so etwas heute noch leisten?

Und wenn dir jemand 60.000 Euro schenken würde …?

Hans Ehle: … käme wahrscheinlich wieder mein sozialer Tick durch: Einen Teil des Geldes würde ich in eine tolle Box-Veranstaltung in einer schönen Halle stecken, den anderen Teil über soziale Zwecke der Jugend zugutekommen lassen.

Colonia ist ein Verein vieler Nationen. Woher stammen die Mitglieder?

Hans Ehle: Bei uns boxen alle möglichen Nationen: Albaner, Russen, Tschetschenen, wir haben Athleten aus den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien und viele, viele mehr. Unsere Sportler gehören auch den verschiedensten Religionen an. Aber ich sage ihnen immer wieder: Der SC Colonia unterscheidet keine Religionen, wir sind eine große Box-Familie, in der alle gleich sind.

Junge Boxer mit Migrationshintergrund sind heute oft die erfolgreicheren in ihrem Sport. Wie erklärst du dir das?

Hans Ehle: Deutschland ist immer noch ein Wohlstandsland. In vielen anderen Ländern aber herrscht Armut, und die Jungen, die von dort kommen, zeigen den nötigen Biss, um nach oben zu kommen. Gerade die „Flüchtlings-Generation“ stellt dies immer wieder unter Beweis. Dagegen sitzen viele Kids, die hier wohlbehütet aufgewachsen sind, lieber vor dem Computer oder am Handy und daddeln, statt sich mit Ehrgeiz im Sport durchzubeißen.

Du stammst selbst aus schwierigen Verhältnissen.

Hans Ehle: Meine Familie zog nach dem Krieg in eine Kleingartensiedlung im Kölner Süden. Der Alltag dort war hart. Wir waren sechs Kinder, ich das jüngste. Ich begann früh, mir Ziele zu setzen, um aus den ärmlichen Verhältnissen herauszukommen. Viel habe ich meiner Frau Ellen zu verdanken, mit der ich seit 33 Jahren verheiratet bin und die mich auch im Verein unterstützt.

Die Stadt Köln zeichnete Hans Ehle 2022 als „Person des Kölner Sports“ aus. Er unterstütze die Kinder in seinem Verein auch abseits des Sports und leiste so einen großen Beitrag zum Thema Integration und Gewaltprävention, hieß es in der Laudatio. (Foto: Imago/Herbert Bucco)
Die Stadt Köln zeichnete Hans Ehle 2022 als „Person des Kölner Sports“ aus. Er unterstütze die Kinder in seinem Verein auch abseits des Sports und leiste so einen großen Beitrag zum Thema Integration und Gewaltprävention, hieß es in der Laudatio. (Foto: Imago/Herbert Bucco)

Was waren die Stärken des Boxers Hans Ehle, was die Schwächen?

Hans Ehle:Also, ich hatte nur Stärken. (lacht) Ich war ungefähr acht oder neun Jahre alt, als ich richtig aktiv wurde bei Colonia. Ich erinnere mich an einen Artikel aus der damaligen Zeit mit der Überschrift „Der kleine Cassius Clay“, weil ich mich immer mit allem, was ich hatte, im Ring bewegte.

Wie viel Zeit widmest du dem Verein – und wie bringst du das Ehrenamt mit deinem Beruf unter einen Hut?

Hans Ehle: Geschäftsführer beim SC Colonia zu sein ist eigentlich ein Fulltime-Job. Als ich das Amt übernahm, wusste meine Frau und ich gar nicht genau, worauf wir uns einlassen. Ein solches Engagement geht auch an einer Ehe nicht spurlos vorbei, aber wir haben jede Krise gemeistert. Heute bin 15 bis 20 Stunden pro Woche für den Verein im Einsatz und helfe, wo ich kann. Wenn meine Frau und ich mal in der Stadt unterwegs sind, nimmt sie mir vorsorglich das Portemonnaie ab – sonst habe ich am Ende des Tages nichts mehr in der Tasche. (schmunzelt) Hauptberuflich arbeite ich als Schlosser beim Wohnungsversorgungsbetrieb der Stadt. Diesen Job übe ich vollumfänglich und gewissenhaft aus, habe aber das Glück, dass mein Arbeitgeber gelegentlich schon mal ein Auge zudrückt.

In diesem Jahr steigen die Olympischen Spiele in Paris. Wie blickst du auf dieses Ereignis?

Hans Ehle: Die Vorfreude ist groß, mit Stefanie von Berge und Nelvie Tiafack werden wahrscheinlich zwei Athleten vom SC Colonia an Olympia teilnehmen. Ich träume bereits jetzt davon, dass die beiden dort auch Medaillen gewinnen werden.

Interview: Frank Schwantes

Das Interview erschien zuerst in BOXSPORT 01/2024