Repeat or Revenge? Tyson Fury will seine verloren gegangene Schwergewichts-Krone mit aller Macht von Oleksandr Usyk zurückerobern. Gelingen soll das mit viel Offensive und „alter“ Schule. Bei BOXSPORT ordnet Experte Sükrü Aksu die Vollgas-Pläne des Briten ein.
Geschichte wiederholt sich nicht. Oder doch? Nun, irgendwie ist bei der Phrase doch wie mit jedem Spruch. Man nutzt oder biegt ihn sich gerade so zurecht, wie man es eben braucht. Tyson Fury jedenfalls ist zurzeit reichlich bemüht, passende Kapitel seiner jüngeren Boxgeschichte heranzuziehen, um sich und seinen Anhängern Mut zu machen – damit sich die Geschichte gegen Oleksandr Usyk am 21. Dezember in Riad (Saudi-Arabien) beim Revanchekampf der Schwergewichts-Rivalen eben nicht wiederholt.
Tyson Fury: „Im Zerstörungsmodus“
„Wen auch immer ich mehr als einmal vor mir hatte, im Rematch habe ich sie ausgeknockt“, sagte Fury bei der Pressekonferenz mit Usyk in London am 23. Oktober. Schon in den Wochen davor hatte der 36-Jährige verbal auf die Pauke gehauen und einen großen Triumph zum Jahresende prophezeit. „Ich werde im Zerstörungsmodus da reingehen. Das letzte Mal habe ich ihn geboxt, war vorsichtig. Dieses Mal bin ich nicht auf ein Punkturteil aus“, ließ Fury im Interview mit „TNT Sports“ wissen und tönte: „Ich werde diesen Motherf***er ausknocken.“
Auf Instagram deutete Fury einen Schlachtplan für seine Mission an, die Schwergewichts-Krone von Usyk („Er hat mir meine Jungfräulichkeit genommen“) zurückzuerobern. „Ich war in der Form meines Lebens“, schrieb das Plappermaul zu einem Foto, das ihn vor dem ersten Kampf am 18. Mai gegen den Ukrainer zeigt – muskulös und austrainiert. „Aber das ist nicht der GK (Gypsy King; Anm.d.Red)“, fügte er hinzu und postete ein Bild von seinem dritten Gefecht gegen Deontay Wilder im Herbst 2021. „Das ist er: 19 Steine, elf Pfund (die britische Gewichtseinheit).
„Brummer“ ist der Idealtypus des Gypsy Kings
Ein Brummer“, beschrieb Fury den Idealtypus des „Gypsy Kings“. Subtext: Der 2,06-Meter-Riese, gegen Usyk 118 Kilogramm schwer, will für die Revanche ordentlich „aufspecken“ – und den Ukrainer mit all seiner Masse überrollen. Ganz so, wie es Fury bei seinen Kämpfen in Las Vegas gegen den gefürchteten K.o.-Knipser Wilder getan hatte. Vor allem im zweiten Teil der Trilogie war der Brite vom ersten Gong an unaufhörlich nach vorne marschiert, walzte Wilder mit all seinen 125 Kilogramm in sieben Runden regelrecht platt.
Mehr Kilos, mehr Offensive, mehr Wumms, weniger technisches Boxen. Ist das der richtige „Game Plan“ gegen Usyk, den Meister-Techniker? Grundsätzlich ja, findet Trainer Sükrü Aksu. „Wenn Fury schwer ist, hat er mehr Power. Gegen Usyk hat ihm im ersten Kampf auch die Power gefehlt“, analysiert der „Chief Second“ von Deutschlands Schwergewichts-Ass Agit Kabayel im Gespräch mit BOXSPORT: „Wie hat er Wilder geschlagen? Er hat ihn festgehalten, runtergedrückt, erschöpft. Wilder ist sogar nach einem Körpertreffer runtergegangen. Und danach hat Fury ihn verprügelt, wie er wollte. So, wie er gegen Wilder gekämpft hat, muss er auch gegen Usyk kämpfen.“
„Dreckig“ zum Sieg?
Allerdings spiele Usyk „in einer ganz anderen Liga“ als Wilder, gibt Aksu zu bedenken. „Er hat Auge, ist kein One-Punch-Künstler – der boxt richtig.“ Zudem müsse Fury sein Tempo drosseln, sollte er wirklich ein paar Pfunde draufpacken. „Sonst packt er das mit dieser Masse hinten raus nicht“, so der BOXSPORT-Experte. Der Brite habe schon im Hinkampf in den letzten Runden „abgebaut“. Fury könne Usyk nur schlagen, wenn er „dreckig“ kämpfe und sein „Gewicht richtig einsetzt“, betont Aksu. Das klingt ganz nach der alten Kronk-Schule der 2012 verstorbenen Trainer-Ikone Emanuel Steward, die dessen Neffe Sugar Hill auch Fury für dessen Schlachten gegen Wilder gelehrt hatte und die schon Lennox Lewis und Wladimir Klitschko erfolgreich durchliefen.
„Festhalten und runterdrücken“, empfiehlt Sükrü Aksu
„Festhalten und runterdrücken. Wladimir hat die meisten seiner Kämpfe so gewonnen. Er hat sich draufgelegt, bis die Gegner irgendwann keine Kraft mehr hatten, da hat er zugeschlagen und sie waren weg“, erinnert Aksu an die Regentschaft des jüngeren Klitschkos. „Wenn Fury ihn von Anfang an rannimmt und zum Erschöpfen bringt, hat er eine Chance“, sagt der Erfolgscoach, der beim Mai-Spektakel in Riad live am Ring saß: „Er hätte schon da mit ihm ringen und sich mit seinem Gewicht auf ihn drauflegen müssen, um ihn zu erdrücken. Das kann Fury doch alles: clinchen, runterdrücken. Damit hatte ich gerechnet, aber das hat er nicht gemacht und das hat ihn den Sieg gekostet.“
Versuche der Ex-Weltmeister auch im Revanchekampf „mitzuboxen“, werde ihn Usyk „immer gut treffen. Er ist flinker auf den Beinen. Dann hat Fury keine Chance und wird wieder verlieren“. Der 37-jährige Titelverteidiger sei ein unheimlich intelligenter Boxer, so Aksu. „Oleksandr Usyk geht immer von der Schlaghand weg, boxt seitlich, steht nie gerade vor dir. Deswegen hatte schon Anthony Joshua so große Probleme. Und: Usyk geht von außen rein. So hat er auch Fury in der neunten Runde fast ausgeknockt. Das ist ein richtiger Könner.“
Punktabzug entschied das erste Duell
Der facettenreiche Fury rückte am Rande der London-PK indes schon wieder von seinen Vollgas-Plänen ab. „Ich werde überhaupt nichts anders machen (als im ersten Kampf; d.Red.)“, kündigte der zweimalige Schwergewichts-Weltmeister an: „Das Einzige, was ich ändern werde, ist, in Runde neun nicht mehr im Stehen angezählt zu werden. Sonst hätte ich klar gewonnen.“ Der erste Kampf gegen Usyk „hätte so oder so ausgehen können“, rekapitulierte Fury seine knappe Niederlage via Split Decision in der Kingdom Arena.
Tatsächlich wäre der Mann aus Morecambe ohne den „Standing Eight Count“ von Ringrichter Mark Nelson mit einem Unentschieden davongekommen. Punktrichter Mike Fitzgerald (USA) sah Usyk nach zwölf Runden mit 114:113 vorne. Ohne den Punktabzug in Runde neun hätte auf Fitzgeralds Scorecard unterm Strich ein 114:114 (6:6-Runden) gestanden. Bei Craig Metcalfe (Kanada) lag der Brite ohnehin mit einem Punkt vorne, Manuel Oliver Palomo wertete mit 115:112 dagegen deutlich für Usyk.
Mehr Fokus auf den Job
Weil er so knapp verloren habe, müsse er für die Revanche prinzipiell nichts an seinem Kampfstil ändern, befand Fury. Lediglich „etwas fokussierter“ müsse er Ende Dezember auftreten. Er sei ein „sehr gebildeter Schwergewichtsboxer“ und werde nicht wie Anthony Joshua oder Daniel Dubois die Fäuste hochnehmen und auf Usyk zumarschieren. „Mein Stil besteht aus Geschick, Bewegen, Schläge auspendeln und den Jab bringen. Alles, was ich tun muss, um die Revanche zu gewinnen, sind kleine Anpassungen. Das heißt: nicht so viel herumalbern mit meinen Händen auf dem Rücken. Mehr Fokus auf meinen Job. Einfach nur eine seriösere Version von dem, was ich schon gemacht habe.“
Tyson Fury: „Habe zuviel herumgeblödelt“
Er habe im Hinkampf sehr viele Showeinlagen im Ring abgezogen, „mehr, als ich jemals getan habe, und das gegen meinen wahrscheinlich härtesten Gegner“, äußerte sich der Gypsy King bei ESPN selbstkritisch. „Ich habe viel herumgeblödelt und das hat mich die Sache letzten Endes gekostet“, spielte er auf seine Clownereien zwischen den Seilen an. Ging das Gehampel gegen einen indisponierten Wladimir Klitschko einst noch gut, schlug der pausenlos Druck machende Usyk in Riad eiskalt zu. Als Fury sich im neunten Durchgang zu sicher fühlte und den Ukrainer mit einer Kombination zum Kopf vorführen wollte, schlug Usyks Linke mit verheerender Wirkung am Kopf des Riesen ein und erschütterte dessen Nervensystem.
Beschert Tyson Fury der Boxwelt am 21. Dezember also einen ganz und gar konzentrierten Gypsy King ohne Mätzchen und Tamtam? Es wäre in gewisser Weise eine Premiere. „Aber Fury ist so ein Typ – der ist immer für eine Überraschung gut, da weiß man nie, wo man dran ist“, sagt Sükrü Aksu. Des Faustkampfs Heiligabend kann kommen.
Text: Martin Armbrüster
Jetzt in BOXSPORT 11-12/24: FURY vs. USYK II: Alles zum Rückkampf der beiden Top-Schwergewichtler. Auch darüber hinaus dreht sich viel um die „schweren Jungs“: BOXSPORT blickt auf das deutsche Duell zwischen Granit Shala und Daniel Dietz, porträtiert Jake Paul, der es im Dezember mit Mike Tyson aufnimmt und erinnert an den „Rumble in the Jungle“, der sich zum 50. Mal jährt. Außerdem: Cruiser-Champ Noel Mikaelian im Interview, „Tiny Tina“ Rupprecht greift nach dem dritten WM-Titel und Ausblick auf die 101. Auflage der Deutschen Meisterschaften (DM) der Elite. Und: das schwere Schicksal der ehemaligen Boxerin Heather Hardy. Plus jede Menge Storys, Analysen, Ranglisten, Kampfreports und vieles mehr.