Regina Halmich – Die Vorkämpferin (I)

BOXSPORT blickt zurück auf die beeindruckende Karriere von Regina Halmich, die für sich und ihren Sport auch außerhalb des Rings Kämpfe austragen musste – gegen ihre männlichen Kollegen, ihren Promoter, ihre Eltern, das Fernsehen und Stefan Raab.

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Durchgeboxt: Regina Halmich ging den Weg bis an die Spitze gegen alle Widerstände und ist dem Sport bis heute verbunden. (Foto: Privat)

Gleich drei „Hall of Fame“-Jahrgänge werden bei der Aufnahmezeremonie 2022 in Canastota gewürdigt. Neben weiteren Ringidolen wie Floyd Mayweather jr., Bernard Hopkins und Roy Jones jr. im Kreise der Geehrten: Regina Halmich. Die deutsche Box-Queen gehört zum erst dritten Jahrgang von Frauen, die in die International Boxing Hall of Fame aufgenommen wurden. 2020 waren es Christy Martin und Lucija Rijker, 2021 Laila Ali und Ann Wolfe, dieses Jahr Holly Holms und Halmich.

Der einzige deutsche Boxer, der es vor Halmich in die Ruhmeshalle schaffte: Max Schmeling. Von BOXSPORT darauf angesprochen, ob sich die Hall of Fame mit der Aufnahme von Frauen in ihre Reihen zu viel Zeit ließ, antwortet Halmich diplomatisch: „Man kann natürlich darüber diskutieren, ob das zu spät ist. Aber ich sage: besser spät als nie. Und es ist doch schön, dass alles noch so ein gutes Ende findet, auch gerade in meiner Karriere. Ich sehe, wofür meine Arbeit und die Vorarbeit, die für das Frauenboxen geleistet habe, gut war, denn wir sehen, wo das Frauenboxen jetzt gerade steht.“

Der Weg an die Spitze ist ein steiniger, bei dem sich die Box-Pionierin gegen einige Widerstände durchsetzen muss. Ursprünglich kommt Halmich über eine Freundin zum Kampfsport, die sie mit zum Karatetraining nimmt. Schnell ist die Schülerin Feuer und Flamme. „Das hat mich damals schon sehr begeistert. So hat mich Jürgen Lutz entdeckt, der damals mein Karatetrainer war und mich dann zum Kickboxen gebracht hat. Dort hat er gesehen, dass ich besonders gut mit meinen Fäusten bin“, erzählt sie von ihren Anfangstagen im Karlsruher Bulldog Gym. Ihr damaliges Idol ist inzwischen eine „Hall of Fame“-Kollegin: Lucia Rijker, die von 1982 bis 1994 als ungeschlagene Kickboxerin reüssierte und 1996 zur „Sweet Science“ wechselte.

Halmich: „Ein Experiment“

Bei Halmichs Eltern ist die Begeisterung weitaus weniger groß als bei ihrem Spross. „Meine Eltern fanden Karate als Selbstverteidigung gut, aber Kickboxen war ihnen suspekt, sie fanden das brutal“, erinnert sie sich zurück. Anfangs schleicht die Nachwuchsfighterin vom Karate- zum Kickboxtraining herüber, später handelt sie mit ihren Eltern einen Deal aus. „Die einzige Bedingung war, dass ich gut in der Schule bin. Ich war im Prinzip nur deshalb gut in der Schule, damit ich ins Training gehen konnte. Das war ein guter Kompromiss“, erinnert sie sich lachend.

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Den WIBF-Gürtel im Fliegengewicht konnte keine Herausforderin der Box-Queen bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2007 abnehmen. (Foto: IMAGO / T-F-Foto)

Auch eine Ausbildung zur Rechtsanwaltsgehilfin macht Halmich eher auf Wunsch der Eltern, die eine solide berufliche Basis für ihre Tochter wünschen. „Zu diesem Zeitpunkt wusste ich bereits, dass ich Profiboxerin werden möchte“, stellt sie klar. Ihre ersten Profifights absolviert sie parallel zu ihrer Ausbildung, allein in ihrem Anfangsjahr 1994 sind es sechs Stück, fünf davon in ihrer Heimatstadt Karlsruhe. Halmich gewinnt ihre ersten acht Kämpfe, darunter auch ein Auswärtsspiel in Italien. Die großen Weltverbände wollen in dieser Zeit noch nichts vom Frauenboxen wissen, den wichtigsten Verband der Damen hat Halmichs Mentor Jürgen Lutz 1989 mitbegründet: die WIBF. Dort bekommt Halmich am 20. April 1995 ihre erste WM-Chance, als sie im Aladdin Hotel & Casino im Box-Mekka Las Vegas gegen die US-Amerikanerin Yvonne Trevino um die Fliegengewichts-WM antreten darf.

Schlüsselerlebnis in Halmichs Karriere

Der Fight soll die erste und einzige Niederlage ihrer Profikarriere werden, denn nach vier Runden muss Halmich wegen eines Cuts an der linken Wange aufgeben. Das frühe Ende des Kampfes, in dem beide Kontrahentinnen in der ersten Runde in den Ringstaub müssen, hat auch mit dem Equipment zu tun. „Wir haben ja damals noch mit diesen Reyes-Handschuhen mit Rosshaarfüllung geboxt. Das ist heutzutage verboten. Aber von sieben Frauenboxenkämpfen in Las Vegas endeten sechs durch K.o. an diesem Abend“, erinnert sich Halmich zurück. „Die Handschuhe waren hart wie Beton. Das sah man auch bei meiner Gegnerin: Als sie mich mit einem Schlag am Kopf getroffen hat, hat sie sich die Hand gebrochen. Eine Runde mehr und sie wäre diejenige gewesen, die hätte aufgeben müssen.“ So ist es jedoch Halmich, die vom Ringrichter aus dem Seilgeviert geschickt wird, obwohl sie gern noch weiterboxen will.

Über diesen Moment ihrer Karriere spricht sie noch heute in Vorträgen: „Dieses Schlüsselerlebnis der Niederlage war unheimlich wichtig für mich im Nachhinein. Ich wollte das damals nicht einsehen, aber ich habe mich oft daran zurückerinnert und mich so motiviert, wenn es im Training mal nicht lief oder ich mir zu sicher war, dass ich gewinnen würde. Ich habe daraus Disziplin gezogen, denn diesen Abend wollte ich nie wieder erleben, das war echt schlimm für mich.“ Schon im nächsten Kampf nach der Trevino-Niederlage erhält Halmich eine erneute WIBF-Chance auf den Titel im Fliegengewicht. Sie besiegt Kim Messer via Split Decision. Damit erregt sie endgültig die Aufmerksamkeit von Klaus-Peter Kohl, damaliger Chef von Universum Box-Promotion. Er nimmt Halmich als erste Frau in seinen Stall auf.

Gegen Kim Messer (r.) wurde Halmich (l.) 1995 erstmals Weltmeisterin. (Foto: Picture Allianz)

Große Skepsis: Halmich muss sich behaupten

Die Vorkämpferin muss sich in einer Männerdomäne behaupten, denn nicht alle ihrer Kollegen sind von ihr überzeugt. Selbst ihr Promoter ist anfangs skeptisch. „Ich war im Prinzip ein Experiment und kostete auch nicht viel Geld, insofern war das Risiko für Universum überschaubar. Die haben das ausprobiert, weil ich beim Publikum gut ankam und für eine tolle Stimmung in der Halle sorgte. Auch bei Peter Kohl war das Herzblut noch nicht in dem Maße vorhanden. Das entwickelte sich erst im Laufe der Zeit.“

Später nimmt Universum weitere Frauen wie Daisy Lang oder Ina Menzer unter Vertrag. Sicherlich auch, weil Halmich die männlichen Kollegen mit harter Arbeit und Leistungsbereitschaft überzeugt. „Ich hatte von Anfang das gleiche Trainingspensum wie die Männer, ich habe nie gezickt oder gemeckert, ich wollte keine Ausnahme sein oder wie ein Mädchen behandelt werden, denn es war mir wichtig, dass ich das gleiche Trainingsprogramm habe.“ Durch das persönliche Kennenlernen und das gemeinsame Training beeindruckt die junge Frau ihre prominenten Kollegen, baut Vorurteile ihrem Sport gegenüber an. „Dariusz Michalczewski, Artur Grigorian oder die Klitschkos, die 1996 dazu kamen, haben mich alle sehr, sehr nett behandelt. Sie waren vielleicht nicht alle Freunde des Frauenboxens, aber sie waren Freunde von mir.“

Dariusz Michalczewski: Freund und Idol

Michalczewski, der „Tiger“, ist nicht nur einer der wichtigsten Protagonisten des deutschen Box-Booms in den Neunzigern, er wird auf der Homepage der Box-Queen auch als ihr sportliches Idol geführt. „Wir hatten damals den gleichen Trainer, Chuck Talhami aus Amerika. Dariusz hatte immer als Erster Training, ich als Zweite. Ich bin trotzdem immer schon zu seinem Training in die Halle gekommen, habe mir all seine Einheiten angeguckt. Ich kenne tausende Runden Sparring von ihm gesehen, habe jedes Training von ihm aufgesogen. Er war tatsächlich mein Vorbild, weil er so eine Disziplin mitgebracht hat. Er war ein absolutes Trainingstier und ich habe mir das eine oder andere dort abgeschaut. Daher ist er nicht nur ein Freund, sondern auch ein Idol“, erläutert die Ex-Boxerin ihre Wahl.

Den gegen Kim Messer eroberten Titel verteidigt Halmich zwölf Mal erfolgreich, wechselt in der Folgezeit zwischen Superfliegen-, Fliegen- und Halbfliegengewicht hin und her, wird in jedem Limit WIBF-Championesse. Nur ein einziges Unentschieden muss sie noch hinnehmen, am 11. September 2004 gegen Elena Reid. Im Rematch am 3. Dezember 2005 fährt Halmich einen einstimmigen Punktsieg ein.

„Wir Sportler sind die letzten, die irgendwelche Kämpfe geschenkt bekommen wollen. Für mich war klar, da muss sofort ein Rückkampf her“, sagt sie über den ersten Reid-Fight. „Das war mir unheimlich wichtig, eine Frage der Ehre. Man spürt ja selbst, wenn an einem Abend nicht seine Bestleistung abgerufen hat, deshalb war mir das Rematch so wichtig.“

Wer denn die härteste Gegnerin ihrer ganzen Karriere war? „Es gab schon einige, die echt hart waren, egal ob vom Stil, von der Schlagkraft oder von der Kondition. Mit Sicherheit war Elena Reid eine sehr starke Gegnerin, aber eben auch die Spanierin Maria Jesus Rosa, die leider kürzlich an Krebs gestorben ist. Ich hatte auch Weltmeisterinnen anderer Gewichtsklassen vor den Fäusten, wie Wendy Rodriguez oder Delia Gonzalez. Da waren schon ein paar Kämpfe dabei, die mir alles abverlangt haben. Auch Hagar Shmoulefeld Finer in meinem letzten Kampf war wegen ihres unorthodoxen Stils eine unangenehme Gegnerin“, lautet Halmichs Fazit.

Text von Nils Bothmann
Dieser Text ist zuerst in BOXSPORT 06/2022 erschienen.