Das Warten hat ein Ende! In Riad, Saudi-Arabien, kommt es am Samstag zum großen Duell im Schwergewicht zwischen Tyson Fury und Oleksandr Usyk. Gegenüber sport.de verriet der deutsche Box-Experte Bernd Bönte seinen heißesten Takes für den Undisputed-Fight.
Wie bedeutsam der Kampf für das Boxen ist …
Bönte: Alleine die Zahl – 25 Jahre, ein Vierteljahrhundert seit dem letzten Undisputed-Fight im Schwergewicht zwischen Lennox Lewis und Evander Holyfield. Das sagt alles über die Dimension. Das ist ein gigantischer Kampfabend, das ist historisch. Und diese Bedeutung merkt man auch in den Medien, vor allem auf Social Media. Jeder will diesen Kampf sehen. Das ist auch kein Wunder, denn sehr lange gab es unterschiedlichste Champions. Die Klitschko-Ära, also die Zeit, in der beide gleichzeitig Weltmeister waren, dauerte gar nicht so lang. Das war von 2008 bis zum Rücktritt Vitalis 2013. Aber auch davor gab es eben immer diesen Split, verschiedenste Weltmeister bei den Verbänden. Das ist eben das Großartige, das Gigantische – das jetzt nach 25 Jahren alle verfügbaren WM-Titel wieder zur Debatte stehen.
Die finanzielle Dimension des Duells …
Ja, dieses Jahrhunderts sicherlich. Ob er dann am Ende des Tages ein wirklicher Klassiker wird? Er hat das Potenzial dazu. Aber ob er einer wird à la „Rumble in the Jungle“ oder „Thrilla in Manila“, die großen Fights von Muhammad Ali gegen Foreman und Frazier, das ist natürlich abhängig vom Kampfverlauf. Sollte es, was ich nicht hoffe und glaube, ein langweiliger, rein taktisch geprägter Kampf werden, dann werden sich in ein paar Jahren nicht mehr so viele daran erinnern. Aber wenn es ein ausgeglichenes Duell auf höchstem Niveau wird, was sehr gut passieren kann, dann kann es ein absoluter Klassiker werden. Und dann werden vielleicht auch, wie bei den vorher genannten Kämpfen, die Menschen noch in 30, 40, 50 Jahren darüber reden.
Wer gewinnt …
Ich persönlich tippe auf Usyk. Einfach, weil ich glaube, dass er der Bessere von zwei sehr, sehr Guten ist. Die beiden sind aktuell die beiden Besten im Schwergewicht, gar keine Frage. Aber ich glaube, dass Usyk eben noch dieses Etwas mehr hat, was man braucht, um so einen Kampf zu gewinnen. Ich glaube, dass er mental der Stärkere ist. Und das sagt schon viel, wenn es gegen einen Mann wie Fury geht. Ich denke auch, dass er technisch und taktisch etwas mehr drauf hat. Ich tippe auf einen Punktsieg: 7:5 nach Runden für Usyk.
Zum Kampfverlauf …
Das ist ein sehr, sehr enger Kampf, so ein klassischer Fifty-Fifty-Fight. Das sieht man an den Wettquoten und auch, wenn man sich anschaut, wie auf verschiedenen Boxwebsites Prominente und Ex-Champions tippen. Das ist gespalten. Ich sage: Wird es ein klassisches Boxing Match, gewinnt Usyk. Wird es ein Streetfight, gewinnt Fury.
Was müssen die Kämpfer zum Sieg jeweils tun müssen …
Usyks große Stärke ist seine Geschwindigkeit, seine Beinarbeit. Er hat extrem schnelle Fäuste, bietet immer wieder verschiedene Winkel an, ist ganz schwer zu treffen. Und genau das ist Furys größtes Problem. Er muss diesen kleineren und unglaublich agilen Mann stellen, muss den Rhythmus von Usyk brechen. Ich habe den Ukrainer in vielen Trainingscamps der Klitschkos gesehen. Das ist jemand, der kann zwölf Runden durchmarschieren und so trainiert er auch. Der ist immer 100 Prozent vorbereitet, immer topfit, hat nie nachgelassen. Im Gegensatz zu Fury, der zwischendrin extrem zugenommen hat, dann auch die letzten Kämpfe nicht so dolle bestritten hat. Die Frage ist: Hat Fury es drauf, diesen Rhythmus zu brechen, diesen kleineren, extrem agilen Mann zu stellen? Denn Usyk wird schnell sein und dieses klassische „Stick and Move“ zeigen, also reingehen in den Mann, Kombinationen schlagen, und dann wieder rausgehen, unterwegs sein, nach links, nach rechts ausweichen. Es ist ein alter Hut: Ein bewegliches Ziel ist sehr schwer zu treffen. Das wird Furys Thema sein.
Zu Furys Größe …
Sein Coach ist Sugar Hill Steward, der damals auch einige Zeit als Assistenz-Coach bei Wladimir in unseren Trainingscamps dabei war. Er hat die sogenannte Kronk-Schule aus Detroit von seinem Onkel Emanuel Steward weiterverfolgt. Bei Emanuel Stewards größten Schülern wie Thomas Hearns, Lennox Lewis und Wladimir Klitschko bedeutete das immer: Hinter dem Jab arbeiten, den Kampf so, ohne Gefahr einzugehen, dominieren, sicher boxen und wenn man am Mann ist, und doch Gefahr droht, klammern und sich mit mit vollem Gewicht auf die meist kleineren Gegner legen, den Kampf unterbinden und den Gegner so zermürben.
Zu Usyks Vorteilen …
Wenn Usyk fit ist, nicht irgendwelche Verletzungen hat, und eben mit seiner grandiosen Beinarbeit agieren kann, die er in all seinen Kämpfen – auch zum Beispiel in den beiden Fights gegen Anthony Joshua – gezeigt hat, wird es für Fury extrem schwer, ihn zu stellen. Usyk ist zudem jemand, der in den Championship Rounds zehn, elf und zwölf in beiden Kämpfen gegen Joshua noch besser geworden ist und hinten raus dominiert hat. Das sagt eigentlich alles über seine Klasse und seine Kondition. Er hat von Joshua im zweiten Kampf extrem harte Schläge eingesteckt und auch gezeigt, dass er entsprechende Nehmerfähigkeiten hat. Und Fury hat sicherlich nicht so einen harten Punch wie Joshua.
Zu einem möglichen Fury-Knockout
Das kommt auf den Frustrationsfaktor an. Sollte es so kommen, wie ich gesagt habe, dass Usyk hinten raus immer stärker wird und Fury frustriert, ist alles möglich. K.o.-Schläge kommen vor allem dann, wenn man sie nicht sieht. Usyks großes Plus ist, dass er extrem schnell ist: mit den Händen, mit seinem Körper. Dass er mit seiner Beweglichkeit aus verschiedensten Winkeln schlägt, auch beidhändig. Speziell seine linke Hand ist extrem stark, eine der besten im Schwergewicht. Man hat das gegen Joshua gesehen, der einige Male wackelte. Wenn der erste Kampf etwas länger gedauert hätte, wäre Joshua möglicherweise k.o. gegangen. Das zeigt, Usyk hat es drauf. Aber ich gehe davon aus, dass das es zu einem Punktentscheid kommt.
Zu einem möglichen dubiosen Urteil wie beim ersten Kampf zwischen Holyfield und Lewis …
Ich saß damals im Madison Square Garden am Ring mit Ralf Rocchigiani und wir haben den Kampf für Premiere, den Vorläufer von Sky, kommentiert. Ich glaube, wir hatten beide Lennox Lewis drei, vier Runden vorne. Auch alle um uns herum im Medienbereich haben es genauso gesehen. Aber klar, im Boxen, in dem Moment, an dem es auf die Punktzettel geht, ist es immer möglich, dass Punktrichter das Ganze anders beurteilen – oder bewusst anders wollen. Fakt ist aber, dass bei Fury gegen Usyk natürlich beide Camps Einfluss haben auf die Auswahl der Offiziellen. Ich glaube ohnehin, dass nicht nur die Punktrichter ganz wichtig sein werden.
Wer den Kampf noch beeinflusst …
Der Ringrichter spielt eine entscheidende Rolle. Denn Fury wird wie gesagt versuchen, diesen Kampf irgendwie schmutzig zu gestalten. Er wird versuchen, am Mann zu klammern, Ellbogen und alles, was in irgendeiner Form möglich ist, ins Spiel zu bringen, um Usyk zu brechen. Da braucht man einen Top-Ringrichter, der diese beiden – und Fury ist ja auch sehr, sehr groß und sehr, sehr schwer – entsprechend trennen kann und dazwischen geht. Was die Punktrichter und den Ringrichter betrifft, gehe ich davon aus, dass beide Seiten starken Einfluss darauf nehmen, dass erfahrene und objektive Offizielle von den vier Weltverbänden eingeteilt werden.
Zu Furys-Schlüsselschlag, dem Aufwärtshaken …
Die Frage ist aber immer: Wie schnell musst du sein, um diesen kleinen, agilen, extrem schnellen Mann zu stellen? Das gilt für jeden Schlag. Man darf nie vergessen: Der Uppercut ist auch ein gefährlicher Schlag für den, der ihn abfeuert. Er ist relativ lange von unten unterwegs und der Gegner kann kontern. Das ist etwas, was Usyk natürlich vorbildlich beherrscht. Wenn er aber am Mann stehen sollte, so wie Deontay Wilder oder Dillian Whyte gegen Fury, dann hat er ein Problem, weil Fury, und das spricht für einen so großen Mann, den Uppercut eben schlagen kann. Die meisten Großen können das nicht. Vitali oder Wladimir haben den Schlag ganz, ganz selten angebracht. Der ehemalige Schwergewichts-Weltmeister Riddick Bowe, von dem ich einige Kämpfe kommentiert habe, hat meiner Ansicht nach den besten Aufwärtshaken geschlagen für einen Mann dieser Größe, er war ja auch fast zwei Meter groß. Usyk darf also keinesfalls vor Fury stehen und sich diesen Uppercut abholen. Aber das weiß er natürlich. Deswegen wird er immer versuchen, unterwegs zu sein, sich nie stellen zu lassen und nie direkt vor Fury zu stehen.
Zur Schwachstelle von Usyk, seinem Körper …
Man hat das auch im Kampf gegen Daniel Dubois im August 2023 gesehen. Ich war bei dem Kampf live dabei in Wrocław, saß ganz vorne am Ring. Es lässt sich sicherlich darüber streiten, ob Dubois den Weltmeister da in der fünften Runde mit einem Tiefschlag zu Boden geschickt hat, oder ob der Punch legal war. Es war an der Grenze. Fakt ist, der Ringrichter hat gesagt, er war tief und hat ihm die Zeit zur Erholung gegeben. Sonst wäre Usyk auch aufgestanden, hätte weitergemacht. Es war nicht so, dass Usyk total angeschlagen war und nicht hätte weitermachen können. Klar ist, dass Usyk sich auch in anderen Kämpfen schon häufig beim Ringrichter über vermeintliche Tiefschläge beklagt hat, die Körpertreffer waren. Ganz klar, das ist seine Achillesferse.
Interview geführt von Martin Armbruster, zuerst erschienen auf sport.de